Der Auslöser für diesen Artikel war ein Vereinscoaching, welches ich kürzlich mit dem mehrköpfigen Vorstand eines Vereins durchgeführt habe. Im Rahmen des Coachings kamen wir zum Thema Wertschätzung innerhalb des Vereins. Anwesend waren fünf Vorstandsmitglieder, und vier davon waren der Auffassung, dass mit der Wertschätzung sowohl im Verein als auch im Vorstand alles in bester Ordnung sei. Nach weniger als zehn Minuten lief die jüngste Teilnehmerin weinend aus dem Raum. Alles prima mit der Wertschätzung?
Sie hatte versucht, den anderen zu verdeutlichen, dass sie sich nicht gehört fühlte. Jetzt nicht, und auch in der Vergangenheit nicht. Und wie schon vorher so häufig, wurde sie oder fühlte sich zumindest so, einfach abgebügelt. Ihre Argumente wurden weggewischt, ihre Gründe nicht angehört, ihre Vorschläge ignoriert oder wegdiskutiert. Haben wir nicht, brauchen wir nicht, machen wir nicht, geht bei uns nicht, haben wir schon immer so gemacht. Kommt Ihnen das bekannt vor? Warum merken eigentlich so viele Vereinsverantwortliche nicht, dass sie anderen nicht genug zuhören?
Wertschätzung im Verein hat nach meinem Verständnis zwei Aspekte. Da ist zum einen die – nennen wir sie institutionalisierte – Form der Wertschätzung, die sich in Urkunden, Ehrennadeln, öffentlichen Anerkennungen und Belobigungen, Glückwünschen zum runden Geburtstag oder ähnlichem zeigt. Das alles macht Sinn, es wird auch benötigt und in vielen Fällen sogar von den Mitgliedern erwartet.
Und dann gibt es noch die (zwischen-)menschliche Wertschätzung, man könnte sie auch kommunikative Wertschätzung nennen. Sie bezieht sich auf die Person, nicht auf deren Leistungen. Kommunikative Wertschätzung stellt die Werte und Ideale, den Charakter, die Absichten oder die Haltung des anderen in den Mittelpunkt. Diese Form der Wertschätzung ist bedingungslos und unterstellt der wertgeschätzten Person nur das Beste:
- Du hast eine Idee? Spannend – erzähl mehr darüber!
- Du findest das nicht so gut? Bestimmt hast Du gute Gründe, erläutere doch mal.
- Du sagst „Ja, aber“. Möglicherweise haben wir irgendetwas noch nicht verstanden, was Dir wichtig ist.
Viele verwechseln Wertschätzung mit Lob. Aber Wertschätzung bedeutet eben nicht, ständig schulterklopfend durch die Reihen zu laufen und jeden für alles zu loben. Sondern es bedeutet vor allem, sich ernsthaft, grundsätzlich positiv und für die andere Person wahrnehmbar mit dem Anderen und dessen Anliegen auseinanderzusetzen. Dazu muss ich vor allem: Zuhören! Und zuhören bedeutet eben auch: Nachfragen! Es ist immer wieder überraschend, wie selten Menschen nachfragen. Es gibt Erhebungen, dass erst sogenannte „Folgefragen“ – also vertiefende Fragen, die sich an vorangegangene Fragen und die darauf gegebenen Antworten anschließen – dem anderen das Gefühl geben, wirklich gehört und ernst genommen zu werden. Aber die meisten von uns stellen im besten Fall gerade mal eine einzige Frage – wenn überhaupt – und glauben dann, alle Informationen beisammen und die Antwort verstanden zu haben.
Es passiert nicht allzu oft, dass – wie in obigem Beispiel – der ganze angestaute Frust an die Oberfläche kommt und jemand weinend den Raum verlässt. Die meisten schlucken ihren Frust hinunter, bis es nicht mehr geht, dann bleiben sie einfach weg oder wechseln vielleicht den Verein. So weit muss es aber gar nicht kommen. Ein ehrlicher und neugieriger Blick in den Spiegel und ein ehrlich gewünschtes Feedback der Aktiven reicht oft schon aus, um den ersten Schritt zu einem Veränderungsprozess in Gang zu setzen. Vielleicht machen Sie ja einfach mal einen kleinen internen Workshop zum Thema Wertschätzung. Oder eine Umfrage (siehe rechte Seite). Und falls Ihnen jemand diesen Artikel zu lesen gegeben hat: Vielleicht möchte die Person Ihnen ja etwas damit sagen.
Herzlichst, Ihr Michael Blatz
Umfrage gestalten
Es macht eine Menge Sinn, gelegentlich Umfragen durchzuführen und sich so ein aktuelles Stimmungsbild bei den Aktiven (oder auch den Passiven) einzuholen. Allerdings nur, wenn die Umfrage selber vertrauenswürdig ist und zum Beispiel von (neutralen) Mitgliederbeauftragten durchgeführt wird. Hier ein paar Beispiele für Fragen:
Wie häufig erhältst Du positive Rückmeldungen zu Deinem Engagement im Verein?
( ) Sehr häufig
( ) Oft
( ) Gelegentlich
( ) Selten
( ) Nie
Fühlst Du Dich in Deiner Rolle im Verein anerkannt und unterstützt?
( ) Ja, voll und ganz
( ) Meistens
( ) Gelegentlich
( ) Selten
( ) Nie
Wie gut fühlst Du Dich über die Entscheidungen im Verein informiert?
( ) Sehr gut
( ) Gut
( ) Teils/teils
( ) Schlecht
( ) Sehr schlecht
Hast Du das Gefühl, dass Deine Meinung im Verein gehört und berücksichtigt wird?
( ) Ja, immer
( ) Oft
( ) Manchmal
( ) Selten
( ) Nie
Wie motiviert fühlst Du Dich, weiterhin aktiv im Verein mitzuwirken?
( ) Sehr motiviert
( ) Motiviert
( ) Neutral
( ) Wenig motiviert
( ) Gar nicht motiviert
Welche Rolle spielt das Feedback von anderen Vereinsmitgliedern/Orchestermitgliedern für Deine Motivation?
( ) Sehr große Rolle
( ) Große Rolle
( ) Mittlere Rolle
( ) Kleine Rolle
( ) Keine Rolle
Fühlst Du Dich im Verein als Teil einer Gemeinschaft, in der jeder Beitrag wertgeschätzt wird?
( ) Ja, absolut
( ) Meistens
( ) Manchmal
( ) Selten
( ) Nein, gar nicht
In welchen Bereichen könnten wir die Zusammenarbeit oder Kommunikation verbessern?
(Offenes Textfeld)
Was könnte der Verein tun, um Dich und andere Mitglieder besser zu unterstützen und zu motivieren?
(Offenes Textfeld)