Ein Chor im Orchestersaal – fordert ein Chor nicht mehr Reflexionen, um den kraftvollen Klang der Stimmen zu unterstützen? Die Anforderungen an die akustischen Eigenschaften eines Raumes für Blasorchesterproben weichen deutlich von denen für Chorproben ab (laut ISO 23591). Genau für diese große Spanne ist der Bach-Saal mit seiner variablen akustischen Ausstattung eingerichtet.

Gemeinsam mit dem Chor „Camerata Vocale“ wurden bei einem intensiven Probentag fünf Szenen mithilfe von verschiedenen Konfigurationen der Vorhänge erprobt und bewertet. Ziel war es, die optimale Balance aus den gegenläufigen Eigenschaften Transparenz und Lautstärke zu finden. Dabei sorgte der Chor für ein überraschendes Ergebnis. Neben der Arbeit am Chorklang wurden die Probentage in der BDB-Musikakademie dazu genutzt, um in unterschiedlichen akustischen Settings zu musizieren und erneut – dieses Mal für die Chöre – die akustische Variabilität des Raumes zu erproben. Von den dabei gewonnenen Erkenntnissen und erfassten Daten können in der BDB-Musikakademie künftig alle Chöre und Orchester profitieren. Der Bach-Saal, der größte Saal in der BDB-Musikakademie, ist für die Anforderungen größerer Orchester und Chöre ausgelegt.

In fünf Szenen vom Studio zur Kirche

Die Musizierenden konnten jede Szene nach kurzer Probenarbeit bewerten, während eine neue Einstellung der Vorhänge angefahren wurde. Die Umfrage mit Kriterien zur empfundenen Hörsamkeit bzw. Transparenz und Lautstärke konnte von den Musizierenden an ihrem Platz über einen QR-Code aufgerufen werden, der vor der Probe verteilt wurde.

QR-Codes, Szene bewerten, Probe Camerata Vocale Bach-Saal, BDB-Musikakademie

Einfach scannen und aktuelle Szene bewerten – die Erfassung erfolgte sofort und unkompliziert.
Foto: Frank Tusch

Von 37 Musizierenden beantworteten die Umfrage 27 bis 36 Personen. Die Umfrage wurde während des Probenbetriebs durchgeführt. Dadurch fand während der verschiedenen Szenen eine Lernkurve der Musizierenden statt. Die Musizierenden kannten die akustischen Eigenschaften des Orchestersaals vor der Probe noch nicht. Die mögliche Spanne der akustischen Eigenschaften wurde während der Proben mit den eingestellten Szenen vermittelt. Dies kann sich auf die Bewertung auswirken, da eine sehr gute Bewertung in der ersten Szene durch eine später eingestellte, subjektiv besser empfundene Szene nicht mehr geändert und so „kalibriert“ werden kann. Dieser Effekt wurde am Probentag von einigen Musizierenden berichtet, weshalb die beiden ersten Szenen nochmals bewertet wurden. Dennoch erlaubt die Auswertung der Umfrage, die Szenen in ihrer Qualität für die Proben einzuordnen. Die Variation der Akustik entsteht durch vier große Vorhänge, welche vor die Wände gefahren werden können, um Schall zu absorbieren. Aus den 16 möglichen Kombinationen hat das Team von MusikRaumAkustik um Dr. Saskia Meißner eine Auswahl von fünf Szenen getroffen, welche die gesamte Spanne der möglichen Nachhallzeiten abdecken. Die Nachhallzeiten liegen dabei nicht nur in der empfohlenen Spanne für Chöre, einige Szenen bieten auch deutlich kürzere Nachhallzeiten, die eher für Orchester gedacht sind.

Szenen anhören

Über den QR-Code kann ein kurzer Ausschnitt aus der Probe in der jeweiligen Szene abgerufen werden, um einen Eindruck von dem Klang zu erhalten. Um den Einfluss des eigenen Raumes beim Lesenden auszublenden sind Kopfhörer empfehlenswert.

4 Vorhänge

Den Auftakt macht eine Einstellung, bei der alle Wände vollständig von Vorhängen bedeckt sind. Mit vier Vorhängen erreicht der leere Raum eine mittlere Nachhallzeit von 0,82 Sekunden. Ohne Reflexionen im Raum wäre zu erwarten, dass die Sängerinnen und Sänger je nur ihre nächsten Nachbarn hören, weiter entfernte Stimmen jedoch durch den Direktschall überdeckt werden. Bei der Probe wurde diese Szene dennoch sehr positiv bewertet.

Messungen Probe Camerata Vocale, Bach-Saal BDB-Musikakademie, Szene 1

QR-Code Camerata Vocale Bach-Saal Audio Szene 1

3 Vorhänge (hinter dem Dirigenten kein Vorhang)

Die Einstellung mit einer freien, den Schall reflektierenden Wand hinter dem Dirigenten erlaubt die Verteilung des Gesamtklangs in den Chor zurück. Die Transparenz sollte gegenüber der 1. Szene erhöht sein. Die längere Nachhallzeit von 0,92 Sekunden erhöht dabei das Stärkemaß des Raums und damit die Lautstärke nur geringfügig. Bei der Probe des Landesblasorchesters war dies die beste Einstellung.

Messungen Probe Camerata Vocale, Bach-Saal BDB-Musikakademie, Szene 2

QR-Code Camerata Vocale Bach-Saal Audio Szene 2

2 Vorhänge

Mit nur zwei Vorhängen verlängert sich die Nachhallzeit auf 1,10 Sekunden. Die zusätzliche, den Schall reflektierende Wand sorgt für ein zunehmend komplexes Klangfeld. Während sich die verschiedenen Stimmen stärker zu einem Gesamtklang mischen und gleichmäßiger wahrnehmbar werden, überdeckt der Nachhall die Feinheiten der einzelnen Sängerinnen und Sänger. Die Lautstärke nimmt durch die längere Verweilzeit des Schalls abermals zu.

Messungen Probe Camerata Vocale, Bach-Saal BDB-Musikakademie, Szene 3

QR-Code Camerata Vocale Bach-Saal Audio Szene 3

1 Vorhang

Mit nur noch einem Vorhang im Rücken des Chors verwandelt sich der Bach-Saal zunehmend in einen Konzertsaal. Während der Raum die Stimmen weiterträgt und die Lautstärke des Chors unterstützt, wird eine produktive Probenarbeit zunehmend schwierig, da auch Fehler überdeckt werden. Die Nachhallzeit von 1,38 Sekunden liegt zwar im optimalen Bereich für leise akustische Musik nach ISO 23951, wird vom Chor jedoch bereits als zu diffus wahrgenommen.

Messungen Probe Camerata Vocale, Bach-Saal BDB-Musikakademie, Szene 4

QR-Code Camerata Vocale Bach-Saal Audio Szene 4

kein Vorhang

Ohne Vorhänge wirkt der Bach-Saal mit 1,68 Sekunden Nachhallzeit wie eine Kirche oder Kathedrale. Was in den historischen Gebäuden durch die komplexe Struktur der Säulen, die Unebenheit der verwendeten Steine und Skulpturen entsteht, wird im Bach-Saal durch die Schuppenstruktur und Trapezform der Wandelemente erreicht. Für die Probenarbeit ist diese Einstellung ungeeignet, doch sie vermittelt die Möglichkeiten, die mit einer variablen Akustik abgedeckt werden können und eignet sich für Konzerte mit Publikum im Saal.

Messungen Probe Camerata Vocale, Bach-Saal BDB-Musikakademie, Szene 5

QR-Code Camerata Vocale Bach-Saal Audio Szene 5

Überraschenderweise gab es nicht wie beim Orchester eine bestimmte, sehr gute Konfiguration der Vorhänge, sondern verschiedene Situationen wurden fast gleichermaßen bewertet. Dabei spielt die Gegenläufigkeit der Eigenschaften Lautstärke und Transparenz eine Rolle: Mit zunehmender Nachhallzeit bei weniger Vorhängen wird der Schall weiter entfernter Sängerinnen und Sänger besser wahrgenommen. Gleichzeitig nimmt die Gesamtlautstärke zu, wodurch das Heraushören einzelner Stimmen erschwert wird. Mit zunehmender Nachhallzeit und damit einhergehend einem größeren reflektierten Schallanteil werden weiter entfernt positionierte Stimmen besser wahrgenommen. Dies ist an der Bewertung der Frage „Ich habe weit entfernte Stimmen gehört“ erkennbar, die von einer mittleren Wahrnehmung bei kürzester Nachhallzeit zu „sehr gut“ bei Szene 4 zunimmt. Ebenso verhält es sich mit dem Gesamtklang, der erst durch vielfache Reflexionen im Raum entsteht. Auf das direkte Umfeld hat die Nachhallzeit hingegen kaum einen Einfluss – hier überwiegt der Direktschall, der keine Reflexionen benötigt. Die Möglichkeit, sich selbst zu hören, nimmt mit zunehmender Nachhallzeit ab, da die Reflexionen im Raum hier keine Unterstützung bieten, die zunehmende Lautstärke das Sich-selbst-Hören jedoch erschwert. Die Lautstärke entfernter Stimmen nimmt durch zunehmende Reflexionen er wartungsgemäß zu. Die Lautstärke der direkten Nachbarn wird durch Direktschall dominiert, worauf die Reflexionen im Raum keinen Einfluss haben. Die Verständlichkeit der Ansagen des Dirigenten berühren eine weitere Eigenschaft von Räumen, die Sprachverständlichkeit. Während ein Mindestmaß an Reflexionen die Lautstärke der Stimme unterstützt, wirken sich lange Nachhallzeiten durch die Überlagerungen grundsätzlich negativ aus. Gemeinsam ist den als angenehm und produktiv bewerteten Szenen, dass sie am unteren Ende bzw. unterhalb der empfohlenen Nachhallzeiten nach ISO 23591 liegen – und das, obwohl der Raum dem Chor ein üppig ausreichendes Volumen zur Verfügung stellt.

Ergebnis Nachhallzeit Messungen Probe Camerata Vocale Bach-Saal, BDB-Musikakademie

Gemessene Nachhallzeiten der verschiedenen Szenen ohne Personen im Raum. Der grüne Bereich ist die empfohlene Nachhallzeit für Probenräume für leise akustische Musik nach ISO 23591. Mit zunehmender Vorhangfläche nimmt die Nachhallzeit ab.

Ergebnis Umfrage Lautstärke Probe Camerata Vocale Bach-Saal, BDB-Musikakademie

Ergebnis der Umfrage „Bewertung der Probensituation im Bach-Saal“:

Umfrage mit Kriterien zur empfundenen Hörsamkeit und Lautstärke. Die Punkte bei der Umfrage zur Bewertung der Probensituation im Bach-Saal sind der Mittelwert der Antworten. Der Balken an jedem Punkt zeigt die Breite der Streuung der Antworten über die jeweils fünf Antwortmöglichkeiten.

Die Eigenschaften des Raums wurden insgesamt deutlich differenzierter wahrgenommen, als mit der Umfrage abgebildet werden kann. Nachdem der Chor die Spanne der möglichen Klangvariationen erlebt hatte, nahm der Dirigent für die zweite Probenphase den Raum in die Gestaltung mit auf. Für getragene Stücke mit eher langsamen, stimmungsvollen Passagen eignet sich die längere Nachhallzeit, diese Stimmung zu unterstützen. Hingegen kann die Präzision virtuoser Stücke mit Taktwechseln, Einwürfen und anderen abrupten Änderungen durch eine kurze Nachhallzeit und den analytischen Klang besser vermittelt werden. Die Erwartungen, die aus der Norm für Probenräume ISO 23951 resultieren, konnten nicht bestätigt werden. Obwohl der Raum mit 50 Kubikmetern pro Person ausreichend Volumen bietet, um die Norm zu erfüllen, wurden die Probensituationen mit einer kürzeren Nachhallzeit als geeigneter empfunden und bewertet. Die Probenarbeit im Orchester kam zu einem vergleichbaren Fazit. Ein analytischer Raumklang mit kurzen Nachhallzeiten ist für die Probenarbeit von Vorteil und liegt am unteren Ende der nach ISO 23591 empfohlenen Nachhallzeiten.

Ergebnis Umfrage Transparenz Probe Camerata Vocale Bach-Saal, BDB-Musikakademie

Die Probe des Landesblasorchester Baden-Württemberg mit 90 Musikerinnen und Musikern führte den Raum annähernd an seine Grenzen, da die Besetzung größer ist als die Norm vorschlägt. Diese Situation wurde in der Planung des Bach-Saals so vorgesehen, da in seltenen Fällen die Blasorchester der Amateurmusik größer als 90 Personen ausfallen. Die Norm bietet jedoch grundsätzlich eine Orientierung – kann für große Besetzungen im Blasorchester aber in den wenigsten Fällen in Probesälen in Deutschland erfüllt werden. Die oben genannten Erfahrungswerte bieten jedoch eine sehr gute Basis wie auch die vielfältigen Rückmeldungen von bereits neu eingerichteten Probenräumen, die durch das Projekt MusikRaumAkustik begleitet wurden.

Dr. Saskia Meißner

Dr. Saskia Meißner und Dr. Arnold Meißner im Bach-Saal. Foto: Frank Tusch

Dr. Saskia Meißner und Dr. Arnold Meißner haben die Messungen im Bach-Saal geleitet und durchgeführt.
Foto: Frank Tusch