Das neue Schuljahr hat begonnen und mit ihm gehen an vielen Schulen neue Bläserklassen als Kooperationen zwischen Schulen, Musikschulen und Musikvereinen an den Start. Immer mehr Musikvereine nehmen zusätzlich Erwachsene als Zielgruppe in den Blick und gründen Erwachsenenbläserklassen. Das Konzept ist für beide Seiten ein Gewinn: Es bietet Erwachsenen die Möglichkeit, sich ihren Traum vom Instrumentalspiel zu erfüllen und Vereinen die Chance, sich personell stärker aufzustellen.

Ein wenig Lampenfieber war dabei, als die Musikerinnen und Musiker der Erwachsenenbläserklasse des Musikvereins Freundschaft Berghausen ihre Plätze auf dem Bahnhofsplatz in Berghausen einnahmen. Im Publikum warteten Familie, Freunde und weitere Interessierte gespannt auf die ersten Töne – und wurden nicht enttäuscht. Nach nur wenigen Wochen Unterricht konnten die 18 erwachsenen Neueinsteiger sich bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt auf dem Wochenmarkt mit zwei Stücken präsentieren. Odelia Hodorov-Hoose, die Leiterin der Bläserklasse, hatte beide Stücke eigens für die Erwachsenenbläserklasse komponiert, um den unterschiedlichen Leistungsstand der Bläserklassenmitglieder zu berücksichtigen. „Das war schon eine tolle Leistung!“, findet Vereinsvorsitzender Stefan Wippert. Immerhin war die Formation erst im April an den Start gegangen.

Das Konzept Erwachsenenbläserklasse macht Schule und offensichtlich haben die in der Corona-Pandemie aufgelegten Förderprogramme als Booster gewirkt. Gibt man das Stichwort Erwachsenenbläserklasse in die Suchmaschine ein, erzielt man viele Treffer und viele tragen das Logo des BMCO, des Bundesverbandes Chor & Orchester. Die Musikvereine Dermbach und Löf sowie die Musikvereine Edelweiß Busenbach, Gurtweil und Berghausen – um nur einige zu nennen – haben das bundesweite IMPULS-Förderprogramm von Neustart Kultur des BMCO als Anschubfinanzierung für eine Erwachsenenbläserklasse genutzt. „Der traditionelle Weg, den musikalischen Nachwuchs allein über die eigene Jugendausbildung und gelegentliche neue Mitglieder durch Zuzug oder Neuwerbung zu gewinnen, reicht heutzutage nicht mehr aus, um die Abgänge zu kompensieren oder als Verein gar zu wachsen“, ist die Erfahrung von Ulrich Müller, Vereinsvorsitzender des Musikvereins Gurtweil. Mit einem Projektteam und Fördermitteln des BMCO machte er sich daran, eine Erwachsenenbläserklasse aufzubauen. Erklärtes Ziel: Möglichst viele der in der Erwachsenenbläserklasse ausgebildeten Musikerinnen und Musiker irgendwann in das Hauptorchester zu integrieren.

„Es braucht neue Wege, um als Verein zu wachsen“

Die gleiche Intention verfolgt der Musikverein Freundschaft Berghausen. Vom Zukunftsdialog des BDB ermutigt, stellten die Vereinsverantwortlichen bei IMPULS einen Förderantrag für ein Projekt zur Mitgliedergewinnung und erhielten den Zuschlag. Damit war die Finanzierung gesichert und die Voraussetzung gegeben, zu sagen: „Kommt, das probieren wir jetzt! Denn erst, wenn man es probiert, weiß man schließlich, ob es funktioniert.“ Dass Fördermittel es allein nicht richten, das war den Vereinsverantwortlichen in Berghausen bewusst. Es braucht auch Manpower, Einsatzwillen und vor allem ein Konzept. „Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, wie wir die Bläserklasse für Erwachsene aufziehen, wie wir die Werbung gestalten, wer die Instrumentalausbildung und wer die musikalische Leitung übernehmen kann.“ Auf alle Fragen wurden Antworten und – das alles Entscheidende – auch genügend Interessierte gefunden. 18 Erwachsene meldeten sich an und Anfang April 2023 konnte die Erwachsenenbläserklasse unter der Leitung von Odelia Hodorov-Hoose an den Start gehen. „Die Nachfrage ist da“, weiß Wippert. „Manche wollen sich ihren Kinderwunsch erfüllen, andere kommen aus Neugierde, aber alle sind auf der Suche nach einer sinnhaften Beschäftigung.“ Darunter sind Angehörige von Jungmusikern, Menschen mit und ohne Vorkenntnisse oder vom Klavier kommend, die das Gruppenerlebnis suchen.

Beim Musikverein Edelweiß Busenbach waren unter den 25 Anmeldungen für die Erwachsenenbläserklasse 19 Personen, die noch nie etwas mit dem Musikverein Busenbach zu tun hatten – für deren Initiator Ralf Wittmann der beste Beweis dafür, „dass man als Musikverein noch neue Klientel erreichen kann“. Im Musikverein Gurtweil kann man das nur bestätigen. Dort erfuhr die erste Erwachsenenbläserklasse überaus großen Zuspruch: Über 40 Männer und Frauen zwischen 20 und 70 Jahren meldeten sich dort für die Erwachsenenbläserklasse an und lassen sich nun zur Blasmusikerin und zum Blasmusiker ausbilden. Sie kommen aus dem ganzen Landkreis und nehmen mitunter einen Anfahrtsweg von bis zu 40 Kilometern in Kauf. Eine von ihnen ist Olga Burgermeister aus Waldshut. Sie hat in ihrer Jugend Klavier gespielt und bekam wieder Lust, Musik zu machen. Sie lernt jetzt Klarinette und genießt es, gemeinsam mit anderen in der Bläserklasse zu üben. „Die Proben sind für mich das Highlight der Woche“, bekundet sie. Auch Markus Dietrich findet, dass „das gemeinsame Musizieren sehr motiviert“. Für Lena Reichmann ist die Bläserklasse eine „coole Möglichkeit, Musik zu lernen“. Der 49-Jährige hat früher Gitarre und Akkordeon gespielt, lernt jetzt Trompete und „möchte schauen, was er erreichen kann“. Menschen wie Olga Burgermeister, Markus Dietrich und Lena Reichmann gibt es zuhauf und überall. In Baden-Württemberg genauso wie in anderen Bundesländern, in Rheinland-Pfalz etwa. Auch dort, beim Musikverein Löf, gibt es Menschen, die schon immer ein Instrument lernen wollten. „Ich hatte aber nie so richtig die Zeit dafür, weil die Kinder die Zeit in Anspruch genommen haben. Inzwischen sind die Kinder groß und ich hab‘ gedacht, jetzt tue ich mal was für mich.“ Und wie dankbar diese Menschen für die späte Chance sind, über die Initiativen von Musikvereinen zur Musik und in eine Gemeinschaft zu finden, macht eine dritte Teilnehmerin deutlich, die sagt: „Ich finde das ganz toll. Das ist ein Wahnsinnsangebot. Durch das Engagement des Vereins ist es möglich, dass wir in unserem Alter noch ein Instrument lernen. Allein würde man sich das doch gar nicht trauen.“

Die Dankbarkeit ist bezeichnend für die erwachsenen Neu- und Wiedereinsteiger. Sie ist nicht das Einzige, was die erwachsenen Instrumentalschülerinnen und -schüler von den Kindern und Jugendlichen unterscheidet. „Die Probendisziplin ist größer, sie sind sehr motiviert und wollen keine Probe ausfallen lassen, auch nicht in den Ferien“,  berichtet Stefan Wippert. „Und ja, die Mitglieder der Erwachsenenbläserklasse sind bewusster und dankbarer, dass es so ein Angebot gibt.“ Für die Vereine ist der Aufbau einer Erwachsenenbläserklasse „ein sehr aufwendiges Projekt“, wie Ulrich Müller weiß. In Gurtweil ist die Ausbildung in der Erwachsenenbläserklasse auf zwei Jahre angelegt. In dieser Zeit wird die Klasse „permanent von zwei Dirigenten geleitet und mit bis zu vier Registerfachkräften unterstützt“, erläutert Müller. Der Vereinsvorsitzende ist sich zwar nicht sicher, „ob wir als relativ kleiner Verein dieses doch sehr aufwendige Projekt noch einmal anbieten können“.

„Die Nachfrage ist da“

Von der Notwendigkeit des Angebots jedoch ist er schon nach dem ersten Ausbildungsjahr felsenfest überzeugt. „Das Konzept Erwachsenenbläserklasse sollte auch in Zukunft als permanentes Angebot in unserer Region angeboten werden“, findet er. In Busenbach hingegen ist Mitte September die zweite Erwachsenenbläserklasse bereits an den Start gegangen und auch in Berghausen sind die Planungen für die zweite Generation angelaufen. „Da uns immer wieder Anfragen von Interessierten erreichen, haben wir uns entschlossen, einen zweiten Anlauf zu machen“, führte Wippert aus. Im April 2025 soll hier die zweite E-Klasse beginnen.

Unterdessen entwickelt sich die erste Berghausener Erwachsenenbläserklasse musikalisch weiter und wächst auch kameradschaftlich immer enger zusammen. Aktuell laufen die Proben für den Auftritt beim Herbstkonzert auf Hochtouren. Und um ein weiteres musikalisches Ziel zu setzen, denken die Verantwortlichen in Berghausen darüber nach, mit den erwachsenen Neueinsteigern das JMLA für Junggebliebene in Angriff zu nehmen. Und wie sieht es mit dem Ziel „Hauptorchester“ aus, das alle Vereine ausgegeben haben? „Das ist nach wie vor das Ziel, aber noch sind nicht alle so weit“, berichtet Stefan Wippert. In Berghausen möchte die Erwachsenenbläserklasse deshalb erst einmal in der bestehenden Formation weiterspielen und zusammenbleiben, bis sie gemeinsam ins Hauptorchester wechseln können. Als Bereicherung für den Verein insgesamt wird die Erwachsenenbläserklasse aber heute schon in allen Vereinen wahrgenommen. Die neuen Formationen befruchten den Verein nicht nur musikalisch mit ihren Auftritten bei Konzerten und anderen Anlässen. Der Musikverein hat in den Musikerinnen und Musikern der Bläserklasse darüber hinaus zusätzliche Helfer für die Feste und Vereinsveranstaltungen gewonnen. „Die Bläserklasse macht sich im Gesamtverein positiv bemerkbar. Wir können auf mehr helfende Hände zurückgreifen.“ Mehr noch: Martina Aßmuth-Ziebler, die vor einem Jahr in der Erwachsenenbläserklasse Berghausen begonnen hat, Querflöte zu spielen, sitzt inzwischen als Beisitzerin mit im Vorstand. Besonders freut Stefan Wippert, dass der Musikverein Berghausen mit der Erwachsenenbläserklasse nun „die ganze Spannweite über alle Generationen nutzt“. Und warum nicht alle Bläserklassen des MV Berghausen einmal gemeinsam miteinander musizieren lassen, überlegt er laut. Ein Anlass findet sich bestimmt.

Martina Faller