Eine Chance für das integrative Musikprojekt „Musik gewinnt Kinder“ der BDB-Musikakademie
Die „VielSaitigkeit“ von Saiteninstrumenten wie Gitarre, Ukulele und Mandoline bietet die Chance, Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Kulturkreisen für das gemeinsame Musizieren in Verein, Band und Orchester zu gewinnen. Dabei spielt auch die Historie dieser Instrumente eine Rolle: Faszinierende Geschichte(n) im Zeichen des Miteinanders verschiedenster Kulturen – Vorbild und Inspiration für integrative Nachwuchsprojekte auch in der Blasmusik, wie die von der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg geförderte Kursreihe „Musik gewinnt Kinder“ der BDB-Musikakademie Staufen zeigt.
Saiteninstrumente sind wahre Brückenbauer, was das Ineinander von Stilen und Genres, von Hoch- und Volkskultur, aber auch von verschiedenen kulturellen Einflüssen betrifft. Allein von diesem Aspekt her eignen sie sich hervorragend, um Menschen jeglicher Herkunft anzusprechen. Die Geschichte der Saiteninstrumente ist selbst klingendes Ergebnis jahrhundertelanger Migrationsbewegungen. Im mediterranen Raum als Schmelztiegel westlicher und östlicher Kulturen waren es stets die Saiteninstrumente, die von der Antike an die verschiedenen Völker in kulturellen Dialog brachten. Vor allem der Gitarre hat sich dieses integrierende Moment tief eingeschrieben. Fast 800 Jahre arabische Herrschaft in „Al-Andalus“, so der arabische Name für die iberische Halbinsel, haben tiefe Spuren in der spanischen Sprache und Kultur hinterlassen. Wer „ojalá“ („hoffentlich“) sagt, ruft immer auch Allah an – und wenn die Flamenco-Gitarre solo oder als Begleitung zu bulerías oder soleás erklingt, öffnet sich in modalen Wendungen und phrygischen „gitano“-Skalen immer auch der alte Klangraum arabisch-persischer Musik. Entwickelt aus der Oud und der Renaissance-Vihuela erlebte die Barock-Gitarre im 16./17. Jahrhundert erste Höhepunkte – über Fernando Sor, den Beethoven der Gitarre und vor allem Joaquín Rodrigo, der in seinem berühmten „Concierto de Aranjuez“ und der „Fantasía para un gentilhombre“ bewusst an die barocken und arabischen Wurzeln der Gitarre anknüpft, wurde die Gitarre, die durch Antonio de Torres ihre endgültige Form erhielt, zum anerkannten Konzertinstrument – und eroberte mit seiner einzigartigen westöstlichen Historie die Welt und Menschen aller Kulturkreise.

Die Welt der Saiteninstrumente – eine Welt der Vielfalt. Foto: Comugnero Silvana
Auch Mandoline und Ukulele haben spannende „Migrationsgeschichten“: Auf den Zuckerrohrplantagen Hawaiis gewann die Ukulele, als Cavaquinho oder Machete de Braga im Gepäck portugiesischer Einwanderer aus Madeira eingereist, ihr eigenes Gepräge – und eroberte vor allem seit dem Auftrittt hawaiianischer Musikgruppen auf der Panama-Pacific-Weltausstellung 1915 in San Francisco zunächst die Vereinigten Staaten: Die Welle der Hula- und Hawaii-Begeisterung ergriff auch die legendäre Tin Pan Alley in New York, Wiege der amerikanischen Unterhaltungsmusik und Karrierebooster für Größen wie Irving Berlin und George Gershwin. Mit dem viralen Medley-Welthit „Somewhere over the Rainbow/What a wonderful world“ des Hawaiianers Israel Kamakawiwo‘ole erlebte die Ukulele zu Beginn der 2000er-Jahre eine neue Welle der Begeisterung, die ihren Ruf als leicht zugängliches, für Pop wie Songwriting gleichermaßen geeignetes Instrument vor allem bei jungen Leuten nachhaltig festigte – dazu dürften auch die kecken „Raabigramme“ mit Ukulele-Begleitung beigetragen haben, die Stefan Raab in seiner Show „TV Total“ vorzutragen pflegte.
Von solch großer Popularität scheint die Mandoline, die ihrerseits von Neapel aus bis nach Indien und Japan vordrang, wo es eine große Mandolinen-Fangemeinde gibt, trotz ihrer Beliebtheit auch in der amerikanischen Country-, vor allem der „Bluegrass“-Musik, noch weit entfernt zu sein. Mit dem israelischen Top-Virtuosen Avi Avital, selbst neugieriger Grenzgänger zwischen Kulturenund Stilen, hat das „Instrument des Jahres 2023“, für das Vivaldi, Mozart und Beethoven komponierten, jedoch einen unermüdlichen Förderer, der gerade die interkulturelle Kompetenz und die Vielseitigkeit der Mandoline in Konzerten, Auftragskompositionen und Transkriptionen unter Beweis stellt. Eindeutig überwiegen bei der Mandoline die Vorteile, wenn es darum geht, Kinder für Musik und auch für das Singen zu begeistern: „Von Stimmung und Tonlage her entspricht sie dem Umfang der Kinderstimme, die es ja wegen ihrer besonderen stimmphysiologischen Eigenschaften besonders schonend zu behandeln gilt“, erklärt die Vizepräsidentin des BDZ, Petra Schneidewind: „Das macht sie zum perfekten Vermittler des Kinderlied-Repertoires und zum idealen Begleiter in Früherziehung und Musikpädagogik.“ Wie bei der Ukulele ist die kleinere Mensur der Mandoline passend für Kinderhände – und auch wenn die Mandoline wegen der Doppelbünde und des Spiels mit Plektron anfangs etwas schwerer zu erlernen ist, bietet sie doch gegenüber der Ukulele, die fraglos schnelle Fortschritte auch ohne Notenkenntnisse ermöglicht und ein ideales Einstiegsinstrument für Kinder ist, eine stilistisch größere Vielfalt.
„Auch die Blasmusik lebte immer schon vom Miteinander von Ost und West“
Die geringe Größe und Handlichkeit sowie die vergleichsweise geringeren Anschaffungskosten sprechen für alle drei Instrumente. Unbezweifelbar sind jedoch die Vorteile, wenn es um die Ansprache von Kinder aus heterogenen Kulturkreisen geht: Anders als etwa Blasinstrumente knüpft die Saite in ihrer westöstlichen Klanghistorie an Vertrautes an und bietet niedrigschwelligere Zugänge: In einer wertschätzenden, weniger eurozentrierten Haltung gegenüber dem, was Kinder aus östlichen Kulturräumen an musikalischen Hörerfahrungen bereits mitbringen, gründet die Gelinggarantie für integrative Musikprojekte, wie sie die BDB-Musikakademie Staufen, die die Geschäftsstelle des BDZ beheimatet, für den Herbst 2025 plant. In der Anwendung von Saiteninstrumenten in der Nachwuchsgewinnung sieht Akademieleiter Christoph Karle eine Chance, neue Seiten, sprich: Saiten in der integrativen Nachwuchsgewinnung in Kooperation mit den BDZ-Vereinen im Rahmen der Ganztagesförderung aufzuschlagen: „Über Saiteninstrumente können schon kleinere Kinder musikalische Fähigkeiten wie Tonhöhenverständnis, Gespür für Rhythmik und harmonische Strukturen, vor allem aber feinmotorische Koordination schulen – ideale Vorbereitung auch für das Zusammenspiel mit Blasinstrumenten, die sie wiederum im bewusst heterogen besetzten Klassenmusizieren kennenlernen können.“ Das Wissen um die türkischen Wurzeln der dann doch nicht ganz so „ur-deutschen“ Blasmusik ist dem Projekt mehr als dienlich, wie Christoph Karle betont: „Es schärft das Bewusstsein dafür, dass Musik – und damit auch die Blasmusik – immer schon von Einflüssen und vom Miteinander von Ost und West lebte und lebt.“ Mit der von der Stiftung Kinderland Baden-Württemberg geförderten Kursreihe „Musik gewinnt Kinder“, die sich im Herbst 2025 um einen prominent besetzten Zukunftsdialog im Oktober zum Thema „Chancen nutzen im Ganztag – wie Vereine von der Ganztagesentwicklung profitieren können“ dreht und Interessierte aller Sparten der instrumentalen und vokalen Amateurmusik anspricht, sollen praxisorientierte Kompetenzen für das Musizieren mit Kindern aller Kulturkreise vermittelt werden. Dass dabei die Saite eine zentrale Rolle spielen wird, ist ein weiterer schöner Beweis ihrer interkulturellen, gemeinschaftsstiftenden Kraft, die sie seit Jahrhunderten auszeichnet.
Dr. Edda Güntert
