Der Raum macht die Musik – das gilt vor allem für Chöre und Vokalensembles, deren künstlerische Arbeit in besonderem Maße von einer guten Akustik profitiert. Ausgestattet mit modernster Technik und einer ausgefeilten variablen Akustik, bietet der Bach-Saal der BDB-Musikakademie Staufen Vokalformationen jeglicher Art ideale Bedingungen für eine erfolgreiche Probenarbeit. Wenn dann noch ein Steinway D-Flügel das chorische Miteinander unterstützt, bleiben keine Wünsche offen, wie die Camerata Vocale Freiburg, einer der führenden Konzertchöre Deutschlands, im Rahmen der Vorbereitung auf ihre Konzerte zum Bruckner-Jubiläum erfahren durfte.
Die Überzeugung, dass das Singen das „Fundament zur Music in allen Dingen“ ist (Georg Philipp Telemann), verbindet die Vokalisten mit den Instrumentalisten. In diesem Geiste öffnet sich die neue BDB-Musikakademie nicht allein für Bläserensembles, Blasorchester und weitere Instrumentalensembles, sondern auch für Chöre und Vokalensembles. Der große, nach Johann Sebastian Bach benannte Proben- und Konzertsaal wurde von Akustiker Eckard Mommertz (Ingenieurbüro Müller BBM) so konzipiert, dass er die je eigenen Anforderungen und Bedürfnisse verschiedener musikalischer Formationen erfüllt. Dafür sorgt neben einer hochmodernen technischen Ausstattung vor allem die akustische Variabilität durch per Knopfdruck verstellbare hochwertige Akustikvorhänge der Firma Gerriets, dank derer sich der Saal an jedes gewünschte Setting anpassen lässt.
Nach dem Landesblasorchester Baden-Württemberg (LBO) (siehe: „Klangraum mit großer akustischer Variabilität“ in blasmusik 07/ 2024), das sich im Frühjahr 2024 im Bach-Saal auf sein Gastspiel in Korea vorbereitete, machte im vergangenen November nun ein Konzertchor die sprichwörtliche Probe aufs Exempel: Die Camerata Vocale Freiburg mit ihrem Dirigenten Winfried Toll nutzte das letzte Probenwochenende vor zwei Konzerten mit Werken von Anton Bruckner und Igor Strawinsky, um die Leistungsfähigkeit des Bach-Saales auf die Probe zu stellen. Dabei bot die Konzeption des Programmes ideale Voraussetzungen, standen doch sowohl reine A-cappella-Werke als auch solche mit Klavierbegleitung und damit verschiedene stimmliche Settings auf dem Programm.
Physik und Musik im Einklang
Eine reizvolle Herausforderung für die beiden Physiker Dr. Saskia und Dr. Arnold Meißner, die ihre fachliche Expertise mit ihrer Musikliebe verbinden: Mit „Musik-RaumAkustik“ haben sie ein Beratungsprogramm www.musikraumakustik.de entwickelt, das es Kulturvereinen ermöglicht, nach einer vor- Ort-Untersuchung durch die beiden Profis in Eigenregie akustische Verbesserungen an ihren Proberäumen vorzunehmen. „Die Vorteile liegen – neben den deutlichen Einsparungen gegenüber Angeboten durch Fachplaner – auf der Hand“, sagt Saskia Meißner, die das Programm gemeinsam mit ihrem Mann Arnold in den für Musikvereine und Chöre so schwierigen Corona-Jahren entwickelt hat: „Besseres Hören untereinander sorgt für eine bessere Probenarbeit – und vor allem trägt eine optimierte, die Lautstärke reduzierende Akustik wesentlich zum Erhalt der Gesundheit der Musizierenden bei.“ Dem Zusammenhang mit Corona ist das Projekt längst entwachsen – die Bedeutung einer guten Akustik aber ist ein bleibend wichtiges Thema: Gute Probenbedingungen sind mit ausschlaggebend für die Motivation der Musizierenden und damit für den Erfolg und den Fortbestand eines jeden Orchesters oder Chores.
„Aus diesem Grund ist MusikRaumAkustik Teil unseres weit gefassten Beratungsangebotes für alle Kultur vereine in Baden-Württemberg: Wir stellen auch in diesem Bereich Expertenwissen nicht allein für Blas-, Sinfonie-und Zupforchester, sondern auch für Chöre und Vokalensembles zur Verfügung, um ihre wichtige kulturelle Arbeit nachhaltig zu unterstützen und zu sichern“, so Akademieleiter Christoph Karle. Mittlerweile haben rund 130 Räume mit teils mehreren Kultur vereinen von der Beratung der beiden Physiker profitiert: Ein Erfahrungsschatz, der nun auch beim Probenwochenende mit der Camerata Vocale zum Tragen kam.
Klangraum mit idealer akustischer Variabilität
Wie jeder Chor, so hat auch die Camerata, die in den späten 70er-Jahren aus einer studentischen Gruppe entstanden ist und seit 1988 unter der Leitung von Professor Winfried Toll singt, mit verschiedensten Probenräumen und -situationen Erfahrungen gesammelt. Die Eigenschaften des Raumes (Kirche, Konzertsaal oder Probenraum) bestimmen nicht nur atmosphärisch wesentlich die – im Wortsinn – „Stimmung“ eines Chores mit. „Nicht von ungefähr empfehlen Gesangspädagogen, vor Probe und Konzert mental und auch körperlich, z. B. durch spezielle Übungen mit Körper und Stimme Kontakt mit dem Saal aufzunehmen“, so Dr. Edda Güntert, wissenschaftliche Bildungsreferentin beim BDB und selbst Chorsängerin.
Noch vor dem ersten Ton konnte der Bach-Saal mit „good vibrations“ punkten: Die Weitläufigkeit und Attraktivität des 256 qm großen und 8 Meter hohen, freundlich hellen Saales inspirierte bereits zu Beginn der Probe die 37 Sängerinnen und Sänger, die beim einstimmenden Empfang im Foyer des BDB-Kulturhotels unter den vielen Porträts von Komponistinnen und Komponisten auch Bruckner und Strawinsky entdeckten.

Der Bach-Saal – ein wandelbarer Raum mit bis zu vier Akustikvorhängen. Der Raum ist so konzipiert, dass er die jeweils eigenen Anforderungen und Bedürfnisse verschiedener musikalischer Formationen erfüllt.
Ästhetik und Funktionalität sind beim Bach-Saal, dessen „Herz“ der Steinway D-Flügel bildet, im Einklang: Die ungewöhnliche Geometrie des Saales, dessen Wände weder parallel noch rechtwinklig sind, fällt direkt ins Auge. Dieser Grundriss schafft die Basis für eine gleichmäßige Schallausbreitung im Raum, besonders bei niedrigen Frequenzen. Die Facettenstruktur der Wandverkleidung, die trapezförmigen Fensternischen sowie die Höhenvariation der Decke verteilen den Schall gleichmäßig in alle Richtungen und erzeugen die für Proben nötige Transparenz. Der leere Raum enthält nur wenige schallabsorbierende Elemente, um Chören und kleinen Ensembles eine optimal lange Nachhallzeit für Konzerte bieten zu können. Mit einem Volumen von 1.906 Kubikmetern ist eine optimale Besetzung durch einen Chor oder ein Orchester mit bis zu 125 Personen möglich, die Nachhallzeit passt sich durch die aktivierbare Vorhangfläche, ergänzt um die Absorption der Personen, an die steigende Schallleistung an.
Analytischer Probenklang und konzertante Brillanz in einem Saal
Gestaltete sich bereits das routinemäßige Einsingen im neuen Saal als inspirierende Übung, so erlebten die Chormitglieder in den verschiedenen akustischen Settings ein Probenwochenende der besonderen Art. Ziel war, die optimale Balance aus den gegenläufigen Eigenschaften Transparenz und Lautstärke zu finden. Um die jeweilige Szene individuell bewerten zu können, erhielten die Sängerinnen und Sänger zu Beginn der Probe einen QR-Code, über den eine Umfrage mit Kriterien zur empfundenen Lautstärke und Hörbarkeit am Platz aufgerufen und ausgefüllt werden konnte. In der ersten Probenphase ging es darum, zunächst einmal die akustischen Eigenschaften des Saales kennenzulernen. Jede Szene wurde jeweils nach kurzer Probenarbeit bewertet, während eine neue Einstellung der Vorhänge angefahren wurde. Dadurch, dass die Umfrage während des Probenbetriebes durchgeführt wurde, entwickelte sich bei den Sängerinnen und Sängern eine Lernkurve: Dass die Teilnehmenden die akustische Beschaffenheit bzw. Leistungsfähigkeit des Saales zu Beginn nicht kannten, wirkte sich insofern auf die Bewertung aus, als beispielsweise die Bewertung einer ersten Szene mit „sehr gut“ durch die Erfahrung einer späteren Einstellung, die dann doch als noch besser empfunden wurde, nicht mehr geändert, d. h. kalibriert werden konnte. Da dies von mehreren Teilnehmenden angemerkt wurde, wurden die beiden ersten Szenen daraufhin noch mal zur Bewertung gestellt.

Mobile Akustikvorhänge sorgen für eine variable Akustik, so dass jeder Chor und jedes Ensemble den Raum individuell nach eigenen Wünschen einstellen und perfekt proben kann.
Die Überraschung dabei: Im Vergleich zum Orchester (die Ergebnisse des Probewochenendes mit dem LBO wurden zum Vergleich herangezogen) gibt es nicht die eine bevorzugte, sehr gute Konfiguration der Vorhänge. Verschiedene Vorhang-Settings erhielten nur graduell abweichende sehr gute Bewertungen.
Mit mehreren Vorhängen ermöglicht der Raum einen sehr analytischen, das wechselseitige gute, „lernende“ Hören unterstützenden Klang, der – so die Rückmeldung von Dirigent und Singenden – als sehr vorteilhaft für die Probenarbeit empfunden wurde: Die kurze Nachhallzeit deckt jeden falschen Ton auf („Jedes Rascheln der Notenblätter wird wahrnehmbar“, so ein Chormitglied), was die Konzentration erheblich erhöht. Für einen schönen, brillanten Gesamtklang mit stärkerer Präsenz wurden weniger Vorhänge (Verschiebung des Klangs zu höheren Frequenzen) als förderlich empfunden und bewertet: Hier kam man der eigentlichen Auftrittssituation näher („Für den Gesamtklang sehr gut, zum Proben weniger konzentriert“, so ein Chormitglied). Für die Probenarbeit wurde eine Szenerie mit mehr Vorhängen als zielführender bewertet: „Man hört die Konsonanten selbst beim Flüstern sehr gut“, so die Rückmeldung. Nach dem Mittagessen, welches Chor und Dirigent im „Rossini”-Restaurant der Akademie einnahmen, bezog Dirigent Winfried Toll den Raum bewusst in die Gestaltung der zweiten Probenphase ein. Für getragene Stücke mit langsamen, ausdrucksstarken Passagen eignete sich die Einstellung mit längerer Nachhallzeit. Der für den Vortrag virtuoser Passagen mit Taktwechseln, Einwürfen und abrupten Stimmungswechseln notwendigen Präzision kam hingegen die beschriebene Aktivierung eines analytischeren Raumklanges entgegen.
Forschungsarbeit im Dienst der Orchester und Chöre
Selbst für so erfahrene Experten barg das Probenwochenende neben erwarteten Ergebnissen einige Überraschungen, wie Saskia Meißner darlegt: „Neben den Unterschieden zur Klangwahrnehmung eines Blasorchesters war für uns vor allem interessant, dass die Einstellungen für eine optimale Probenarbeit mit einer Nachhallzeit zwischen 0,8 und 1,0 Sekunden deutlich unter der Empfehlung liegt, die die Norm für Proberäume ISO 23951 vorgibt: Hier sind bei einem Raumvolumen von 1.906 Kubikmeter eine Nachhallzeit von 1,35 bis 1,81 Sekunden angegeben – obwohl der Raum mit 50 Kubikmetern pro Person ausreichend Volumen bietet, um diese Norm zu erfüllen.“ Ein spannendes Wochenende also für die Akustik-Profis, die die Ergebnisse ihrer Arbeit und ihre Erfahrungen über Musik-RaumAkustik weitergeben.
Und der Chor? Nicht jeder Sänger oder jede Sängerin wird in die Geheimnisse der Akustik ähnlich tief eindringen können wie die beiden Physiker. Das Fazit in musikalischer Hinsicht fällt jedoch eindeutig aus: „Das war Proben auf einem ganz neuen, ja wahrhaft beflügelnden Niveau“, so Dirigent Winfried Toll – und auch für seine Sängerinnen und Sänger war das Probenwochenende im Bach-Saal der BDB-Musikakademie ein echtes Hörerlebnis, das wesentlich zum Erfolg beider Konzerte beitrug. Probe bestanden – und nicht nur das: Von den Ergebnissen dieses besonderen Probenwochenendes werden alle Chöre und Ensembles profitieren, die in Zukunft im Bach-Saal der BDB-Musikakademie singen.
Text: Dr. Edda Güntert Fotos: Frank Tusch