Stellt man sich einen Künstler vor, passt Marc Grauwels perfekt ins Bild: Ein freier, gelassener Mensch, der in allen Bereichen versiert ist und sich seinen renommierten Platz in der Musikwelt selbst geschaffen hat. Der Miyazawa-Botschafter ist in diesem Jahr Dozent bei Miyazawa Querwind, dem Festival für Flöte in Staufen, und freut sich schon sehr darauf.

Wer sich mit der Querflöte beschäftigt, kommt an Marc Grauwels nur schwer vorbei. Der belgische Flötist ist nicht nur international auf Tourneen und in Meisterkursen unterwegs, sondern nimmt auch regelmäßig neue Alben auf und hat mit seinem Spiel viele Flötistinnen und Flötisten beeinflusst. Rund einhundert Komponisten haben für ihn Werke komponiert, er hat bisher mehr als 60 CDs aufgenommen – und diese Zahlen nehmen weiter zu. Dabei hatte die Musikerkarriere erst einmal damit angefangen, dass Grauwels kein Musiker werden wollte: Architektur hatte es ihm mehr angetan. „Das Bauen und Gestalten hat es mir schon immer angetan“, berichtet Grauwels. Sein Haus beispielsweise war ursprünglich ein altes Weinlager, das er selbst umbaute und so gestaltete, wie es ihm am besten gefiel. Aber mit 18 Jahren entschied er sich gegen Architektur und für die Musik. Grund dafür war unter anderem sein damaliger Flötenlehrer. „Ich habe Flöte gespielt, seit ich 7 Jahre alt war. Mein Lehrer war noch recht jung und hat mich sehr gefördert und als Musiker geprägt.“ Außerdem war ein Aspekt am Ende ausschlaggebend, der auch zu seiner heutigen unabhängigen Lebensart passt: „Ich dachte mir, als Musiker kann ich wesentlich mehr reisen und muss nicht an einem Schreibtisch sitzen wie als Architekt, das macht sicher mehr Spaß“, lächelt Grauwels.

„Meine Jahre im Orchester habe ich sehr gemocht“

Keine zwei Jahre später, noch während seines Studiums, hatte Grauwels bereits seine erste Stelle im Orchester der flämischen Oper in Gent. „Meine Jahre im Orchester habe ich sehr gemocht“, berichtet Grauwels. „Ich war immer der Jüngste und war ziemlich wild. Das war seltsam, dass die Leute, mit denen ich mich in meiner Freizeit getroffen habe, nichts mit der Welt meines Berufs und mit der Oper zu tun hatten.“ Fünfzehn Jahre verbrachte Grauwels insgesamt in Orchestern, die ersten drei in Gent. Danach spielte er zwei Jahre die Solo-Piccolo im Brüsseler Opernorchester La Monnaie und war ab 1978 zehn Jahre lang erster Soloflötist im Symphonieorchester des belgischen Rundfunks. Danach gab er diese Stelle auf, um als Solist die Welt zu bereisen und Konzerte zu geben. „Ich hatte einfach zu viele Konzerte als Solist und musste mich entscheiden: Will ich weiter im Orchester spielen oder als Solist arbeiten?“, erklärt er. Der Abschied vom Orchester fiel Grauwels aber ziemlich leicht, sagt er. „Ich war von der Mentalität her immer frei wie ein Vogel. Da hat es einfach besser gepasst.“ Dennoch findet er, dass jeder Musiker zumindest eine gewisse Zeit in einem Orchester gespielt haben sollte – auch, weil die Entscheidung für eine bestimmte Karriere heute deutlich schwieriger ist, weil es mehr gute Musizierende gibt. „Ich finde, im Orchester zu spielen prägt einen sehr. Man lernt durch jeden Dirigenten etwas Neues und bildet sich seine eigene Meinung zu Stilfragen und zur Spielweise bestimmter Passagen“, erklärt er. „Im Französischen nennt man das eine ‚passage obligatoire‘, einen notwendigen Lebensabschnitt. Danach kann man verschiedene Dinge ausprobieren.“

Er mag es, Menschen auf ihrem musikalischen Weg zu begleiten

Für Grauwels bedeutete das zuerst einige Jahre auf Tour. „Es war fordernd, aber auch sehr erfüllend“, lächelt er. Momentan ist er auch Professor für Flötenunterricht am Königlichen Konservatorium in Mons. Auch das Unterrichten gefällt ihm sehr, denn er mag es, Menschen auf ihrem musikalischen Weg zu begleiten. „Als jüngerer Mensch möchte man eine Karriere und möchte seine Geheimnisse für sich behalten. Aber mittlerweile bin ich da großzügig geworden“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Sein wichtigster Tipp an junge Musikerinnen und Musiker: „Lernt! Und lernt immer weiter! Wenn man jung ist, möchte man alles perfekt machen. Was aber bleibt, sind die Menschen, die etwas anders oder besonders machen. Manche werden es mögen, andere finden es ‚zu originell‘, aber so ist das. Man muss sich selbst finden und seine Besonderheit akzeptieren.“ Das helfe auch dabei, sich in der Musikerwelt zu etablieren. Man müsse auch aufpassen, dass man sich nicht zu sehr von Kolleginnen und Kollegen beeinflussen lasse. „Die Welt der Kollegen ist nicht die Realität“, findet er. „Das Publikum ist oftmals kein Profimusiker, sondern einfach jemand, der gern Musik hört.“ Daher versucht er auch, sein musikalisches Programm an seinem Publikum auszurichten, um dieses insbesondere zu erreichen. Zwar gibt es bei seinen Konzerten auch klassische Musik, aber auch sehr viel modernes. „Zu viel Klassik, und die Leute kommen nicht“, lächelt er. Dabei ist ihm aufgefallen, dass das Publikum auch in jedem Land anders reagiert, manche Länder sind lauter, andere leiser. „Das macht mir am meisten Spaß“, sagt Grauwels. Er selbst hat sich in seinem Spiel vom Barock inspirieren lassen. „Der klare Ton ohne viel Vibrato hat viel Schönes“, findet er. Insgesamt hält er allerdings nichts davon, in einem Bereich Spezialist zu sein.

Zurecht stolz auf die Aufnahmen aller Mozart-Werke

Er spielt lieber von allem etwas, von Bach über Mozart und Schubert bis hin zu modernen Stücken. Dabei ist ihm aufgefallen, dass das eine das andere beeinflusst. „Man spielt einen besseren Mozart, wenn man einen guten Piazzolla spielen kann.“ Piazzolla ist auch ein wichtiger Komponist für ihn: Astor Piazzolla schrieb „History of the Tango“ speziell für ihn und nahm es auch mit ihm auf, außerdem war er bei einer Uraufführung von einem Stück von Ennio Morricone beteiligt. Besonders schätzt er die Kompositionen von Mozart. 1988 war er auch bei den Aufnahmen zum Film „AMADEUS“ beteiligt und hat in diesem Kontext auch alle Werke eingespielt, bei denen eine Flöte beteiligt ist – unter anderem eins der letzten Werke von Mozart, das ein Quintett aus Flöte, Oboe, Viola, Cello und Glasharmonika fordert. „Ich habe Ewigkeiten gesucht, bis ich jemanden gefunden hatte, der Glasharmonika spielt“, lacht er. Auf die Aufnahmen aller Mozart-Werke ist er bis heute stolz. Die Gesamtausgabe der Mozartwerke in einem Set mit 170 CDs verkaufte sich bis heute über 100.000 Mal. Selbst hört er von allem etwas, von klassischer Musik über Flamenco und Jazz bis hin zu französischen Chansons, denn: „Es gibt nur gute Musik und schlechte Musik.“ Grauwels spielt selbst nur auf goldenen 9-Karat Miyazawa-Querflöten. Der Grund dafür ist, dass er den Instrumentenbauer Johan Brögger, dessen mechanisches System Miyazawa weiterentwickelt hat und verwendet, selbst bei einem Konzert in Schweden kennengelernt hat. „Miyazawa kam mit der neuen Querflöte zu mir und hat mich nach meiner Meinung gefragt“, erklärt Grauwels. „Die Qualität hat mich überzeugt, daher spiele ich nur darauf.“ Bei Miyazawa Querwind in der BDB-Musikakademie im Mai wird Grauwels als Dozent dabei sein. Er freut sich schon sehr darauf, auch weil sich die Arbeit bei Kursen von der Arbeit als Professor stark unterscheidet. „Das Wichtigste ist, die Menschen zu inspirieren und den Finger darauf zu legen, was das größte Problem ist – Intonation, die Atmung, die Tonqualität? Meine Aufgabe ist es, die Zeichen zu sehen und dabei bestmöglich zu helfen.“ Für ihn ist das Erkennen der Schwierigkeiten eines Schülers oder einer Schülerin mit seiner Berufserfahrung auch kein Problem: „Mittlerweile sehe ich das manchmal schon, wenn jemand den Raum betritt“, lacht er. „Bei manchen kann man das fast schon riechen.“ Auch mit 69 Jahren ist er immer noch begeistert von seinem Beruf und freut sich auf jedes Konzert und jeden Workshop.

Monika Müller