So lautet der Titel des Musicals, das die Musikmentoren des BDB mit Schülerinnen, Schülern und Lehrkräften der Paula-Fürst-Schule gemeinsam erarbeitet und im Juni in der Aschingerhalle in Oberderdingen auf die Bühne gebracht haben. Er ist Programm. Denn nicht nur in der Geschichte des Musicals, sondern auch in der Kooperation geht es genau darum: um „ein Zusammenleben und -erleben als wesentlichen Bestandteil von Lebensqualität“, wie Schulleiterin Svenja Bauersfeld betonte.
Die Schüler der Paula-Fürst-Schule in Oberderdingen und die Teilnehmenden des Mentorenlehrgangs der BDB-Musikakademie Staufen zusammen auf einer Bühne! Auf den ersten Blick ist das alles andere als gewöhnlich. Auf der einen Seite sind da die rund 80 Schülerinnen und Schüler mit geistigen Beeinträchtigungen im Alter von 6 bis 19 Jahren der Förderschule, auf der anderen Seite die 38, aus ganz Baden-Württemberg stammenden Musikmentorinnen und -mentoren des BDB. Doch es gibt eine Person, die die beiden Institutionen über viele Jahre miteinander verbunden und eine Brücke von Oberderdingen nach Staufen geschlagen hat: Brigitte Nies. Brigitte Nies war nicht nur jahrelang Leiterin des Musikmentorenlehrgangs im BDB, sondern gleichzeitig auch Lehrerin an der Paula-Fürst-Schule in Oberderdingen. In beiden Funktionen war ihr die Förderung von Kindern und Jugendlichen Berufung und Herzenssache. Mehr noch: Als leidenschaftliche Musikerin und engagierte Jugendverantwortliche in Verein und Verband war sie überzeugt von der universellen und verbindenden Kraft der Musik. Mehrfach stellte sie eindrücklich unter Beweis, dass Musik Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen verbinden und Inklusion mithilfe von Musik gelebt werden kann. So realisierte sie 2014 mit dem Mentorenlehrgang des BDB und in Kooperation mit der Paula-Fürst-Schule in Emmendingen-Wasser das Inklusionsprojekt „Im Zauberdschungel sind die Töne los“. Ein Jahr später wiederholte sie dieses Projekt auf dem Landesmusikfest Baden-Württemberg und führte – dieses Mal mit Schülerinnen und Schülern der Oberderdinger Paula-Fürst-Schule – eindrucksvoll und anrührend vor Augen, wie gelebte Inklusion aussehen kann.
Ein solches Kooperationsprojekt mit dem Mentorenlehrgang noch einmal auf die Beine zu stellen, das war zu ihren Lebzeiten Brigittes großer Wunsch. Leider konnte sie ihn selbst nicht mehr realisieren. Fünf Jahre nach ihrem viel zu frühen Tod hat der Mentorenlehrgang 2023 unter der Leitung von Anja und Thomas Epple Brigittes Traum nun wahr gemacht. Dass das gemeinsame Musical-Projekt eine besondere und intensive Erfahrung für alle Mitwirkenden wurde, versteht sich fast von selbst. Nicht nur, weil die Schülerinnen, Schüler und Dozierenden der Paula-Fürst-Schule „ihre große Lust auf Musical“ dank der Unterstützung der Musikmentorinnen und -mentoren ausleben konnten. Vielmehr ermöglichte die inklusive Aufführung und die Zeit der gemeinsamen Vorbereitung beiden Seiten eine Form des „Zusammen(er-)lebens“, die im Alltag beider Gruppen nicht möglich, für ein erfülltes Leben und eine möglichst selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung aber wünschenswert wäre.
Und genau darum ging es auch im Musical: um Akzeptanz, Freundschaft und das Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen. Auf der Handlungsebene des Musicals waren das die Giraffen und Zebras mit ihren Hauptfiguren Raffi und Zea. Im Laufe der Geschichte überwinden sie Vorurteile, gehen aufeinander zu und schließen Freundschaft – genauso wie im echten Leben die Kinder und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigungen, die sich in den gemeinsamen Vorbereitungen und Proben für das Musical auf eine besondere Art begegneten und aneinander wuchsen. „Die Musikmentoren haben offen, neugierig, unvoreingenommen und sehr engagiert eine tolle Beziehung zu unseren Schülern aufgebaut. Das hat es besonders gemacht!“, wusste Schulleiterin Svenja Bauersfeld. Dass das auf Gegenseitigkeit beruhte, bestätigte die Musikmentorin Milena Hofmann. „Unser Umgang mit beeinträchtigten Menschen hat sich durch das Musicalprojekt total verändert“, berichtete sie. Am Musical mitgewirkt haben restlos alle: alle Schülerinnen, Schüler und sämtliche Lehrkräfte der Paula-Fürst-Schule und die Musikmentorinnen und -mentoren sowieso. „Wir haben ein Jahr lang Musical geprobt“, berichtete Schulleiterin Svenja Bauersfeld. „Alle Schulkinder und Lehrkräfte waren beteiligt“. Ihren Fähigkeiten entsprechend übernahmen die Schülerinnen und Schüler Rollen als Sprechende, Singende, Trommelnde, Tanzende und Nebenfiguren oder Aufgaben in der Bewirtung, beim Auf- oder Abbau. In der speziell dafür gegründeten Musical-AG studierten die Schülerinnen und Schüler unter der Leitung von Julia Langbein und Franziska Elcic Texte und Lieder ein und übten unermüdlich, während Brigitte Nies‘ Tochter Susanne Bader die Trommelgruppe betreute. In Staufen an der BDB-Musikakademie begann im Februar im Musikmentorenlehrgang derweil die organisatorische und musikalische Arbeit für das Musical. Hatten die Musikmentorinnen und -mentoren zu Beginn noch Respekt vor der Fülle und Vielfalt der Aufgaben und auch Berührungsängste mit den geistig beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen der Förderschule, brach der erste Kontakt mit der Schule via Videocall das Eis. Svenja Bauersfeld berichtete darin vom Schulalltag an der Paula-Fürst-Schule und von ihrer Arbeit in den fünf bis sechs Kinder großen Schulklassen. „Damit hatten wir uns davor noch gar nie befasst“, erzählte Musikmentor Benjamin Barth. „Uns war nicht bewusst, dass jedes Kind auf einem anderen Stand ist und im Unterricht eine andere Methode und ein anderes Konzept braucht.“ Und Milena Hofmann ergänzte: „Frau Bauersfeld hat uns gesagt, worauf wir im Umgang mit den Schulkindern achten sollen, dass wir langsam sprechen und sie nicht überfordern dürfen.“ Im Austausch mit der Schulleiterin und den Leiterinnen der Musical-AG wurde den Musikmentorinnen und -mentoren zweierlei bewusst: Sie haben begriffen, dass die Kinder bei den Aufführungen im Mittelpunkt stehen, um sich in ihren Rollen zu beweisen und ihre Stärken zeigen zu können. „Kinder und Jugendliche mit geistiger Beeinträchtigung werden oft unterschätzt. Dabei kann jeder mitmachen und sich einbringen. Manche spielen Hauptrollen, andere Percussion und wieder andere helfen bei der Bewirtung“, resümiert Elisabeth Eckert. Gleichzeitig haben die Musikmentorinnen und -mentoren aber auch verstanden, dass es – wie Benjamin Barth betonte – „auch für sie selbst etwas Besonderes ist, an einem solchen Projekt teilhaben zu dürfen“. Und eine andere Musikmentorin ergänzte: „Es ist für uns alle ein ganz besonderes Erlebnis. Das Musical thematisiert Inklusion und gleichzeitig leben wir diese gesellschaftliche Inklusion mit der Paula-Fürst-Schule. Es liegt mir sehr am Herzen, den Kindern zu erklären, dass wir nicht irgendwie ‚besser‘ sind.“
Voller Motivation haben sich die Musikmentorinnen und -mentoren anschließend an ihre Aufgaben gemacht. Sie haben das Musical für Blasorchester arrangiert, dirigieren gelernt, eigene Stücke für das Musical komponiert, Texte umgeschrieben, Kostüme und Bühnenbilder gestaltet, Flyer und Pressemeldungen erstellt und versucht, die Probenarbeit an der Schule bestmöglich zu unterstützen. Für letzteres haben die Musikmentorinnen und -mentoren sogar ein Playback eingespielt und die Requisiten hergestellt, damit die Schüler der Förderschule damit üben können. Eine Lokalgruppe aus in der Nähe beheimateter fürsprechender Personen hat zudem in den letzten Wochen vor der Aufführung regelmäßig mittwochs die Schule besucht und die Probenarbeit vor Ort unterstützt. Wichtig war den Musikmentorinnen und -mentoren bei der Aufführung das Gemeinsame und Verbindende nach außen sichtbar zu machen. „Wir tragen bei der Aufführung alle das gleiche T-Shirt und haben außerdem einen Button kreiert, damit wir etwas haben, das uns verbindet“, führte Benjamin Barth aus.
Mitte Juni war es dann so weit. Die To-do-Listen waren abgearbeitet und in der intensiven dreitägigen Projektphase in Oberderdingen sollte sich nun alles zusammenfügen, was dort und in Staufen erarbeitet worden war. Für eine öffentliche Generalprobe und zwei Aufführungen verwandelten sich alle Darstellenden in der Aschingerhalle in Giraffen, Zebras und Erdmännchen und musizierten, sangen, spielten und tanzten miteinander – jeder seinen Möglichkeiten und Stärken entsprechend. Während manche Kinder gekonnt ihre auswendig gelernten Texte aufsagten, lasen andere ab und wiederum andere agierten stumm zu den von den Mentorinnen und Mentoren gesprochenen Texten. Bei den Choreografien und szenischen Darstellungen stellten manche jugendlichen Darstellenden ihr Rhythmusgefühl und ihre Ausdruckskraft gekonnt unter Beweis, während andere an der Hand ihrer musikalischen Begleitpersonen ihre Rolle ausfüllten. Alle aber brachten sich in das große Ganze ein und leisteten ihren unverzichtbaren Beitrag zum großen Erfolg. „Was für eine Geschichte, was für eine tolle Arbeit. Vielen Dank für den grandiosen Auftritt“, sagte Schulleiterin Svenja Bauersfeld nach dem tosenden Schlussapplaus und betonte: „Zusammenleben und -erleben – das ist ein wesentlicher Bestandteil von Lebensqualität – diesen Gedanken konnten wir im Musical erleben.“ Auf begeisternde Weise! „Die Kinder wurden mitgerissen von der Dynamik und sind regelrecht über sich hinausgewachsen“, freute sich Svenja Bauerfeld. Was diese Erfahrung mit den Kindern machte, das konnten auch die Mentorinnen und Mentoren spüren. „Das war für die Kinder eine total wichtige Erfahrung, die sie stärkt und in ihrer Selbständigkeit fördert“, war sich Melina Hofmann sicher. Gleiches gilt aber auch für die Mentorinnen und Mentoren: „Das war eine richtig coole Erfahrung und ich nehme total viel für mich mit“, meinte Melina Hofmann nach der Aufführung stellvertretend für alle. „Ich habe meine Berührungsängste überwunden und gelernt, dass man keine Vorurteile haben soll.“ Und Benjamin Barth war sich sicher, dass die Mentorinnen und Mentoren mit ihrem Projekt einen wichtigen Beitrag leisten zu mehr Akzeptanz und gesellschaftlicher Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. „Das ist ein Schritt in die Zukunft, in die nächste Gesellschaft, in der Inklusion hoffentlich zur Normalität wird!“
Text: Martina Faller
Was die Giraffen und Zebras im Musical schaffen, gelang auch den Bläsermentorinnen und -mentoren des BDB sowie den Schülerinnen und Schülern der Paula-Fürst-Schule Oberderdingen: Sie haben Berührungsängste überwunden, Akzeptanz gelernt und Freundschaft geschlossen.