Heinrich Schütz und Udo Lindenberg sind in dieser blasmusik-Ausgabe Porträts gewidmet. Wie sie miteinander verwoben sind und welcher Bildungsgedanke mit der inneren Einrichtung der neuen BDB-Musikakademie verknüpft ist, darüber gibt Dr. Edda Güntert, wissenschaftliche Referentin des BDB, im Interview mit der blasmusik beredt Auskunft.

blasmusik: Die Komponistenwand im Foyer ist für den Gast der erste sichtbare Hinweis darauf, dass die BDB-Musikakademie nicht nur modern und geschmackvoll möbliert ist, sondern auch über eine „innere Einrichtung“ verfügt. Warum ist sie für ein Haus wie die BDB-Musikakademie unabdingbar?
Edda: Zunächst einmal ist es ein charmanter, attraktiver Gedanke, eine Musikakademie, die ja auch Kulturhotel ist und neben Musizierenden auch Unternehmensgäste und Touristen ansprechen will, mit einer solchen besonderen „inneren Einrichtung“ auszustatten, die dem Haus ein ganz eigenes Gepräge verleiht – Themenhotels sind ja ein anhaltender Trend in der Touristik. Was das Storytelling im Marketing schon lange weiß, ist, dass Menschen begierig nach guten Geschichten und Inhalten sind, die emotio und ratio verbinden. Gerade bei einem Bildungshaus wie der BDB-Musikakademie, die eine solche Vielfalt von hochwertigen Angeboten – Meisterkurse, Seminare, Workshops, Konzerte – im Portfolio hat und auch Kinder und Jugendliche anspricht, in vielem ja auch das auffängt, was an musikalischer Bildung von Schulen nicht mehr geleistet werden kann, liegt es nahe, mittels Porträts von Komponistinnen und Komponisten in Bild, Wort und Ton Bildung erfahrbar, ja intensiv erlebbar zu machen. Hinzu kommt auch der Gedanke, dass die BDB-Musikakademie damit auch ein Bekenntnis zur Geschichte der Musik, zu ihrer eigenen Verankerung in dieser ablegt, gerade auch im Hinblick auf ihre Wurzeln in der Blasmusik, die – anders, als oft dargestellt – Teil dieser Geschichte ist.
blasmusik: Die Komponistenwand zieht sofort alle Blicke auf sich, entfacht Gespräche und entzündet Diskussionen. Denn nicht jedem erschließt sich unmittelbar, was Heinrich Schütz und James Last mit der Blasmusik verbindet und warum sich Künstler wie Udo Lindenberg und Frank Zappa im Portfolio befinden. Welche Kriterien stecken hinter der Auswahl?
Edda: Die Strahlkraft großer Musik und sogenannter „Schlüsselwerke“ der Musikgeschichte, an der sich das Storytelling-Team für seine Auswahl orientiert hat, besteht gerade darin, dass sie keine scharfen Grenzen zwischen Stilen, Genres, zwischen „E“ und „U“ ziehen. Egal, mit welchem Komponisten oder auch Komponistin man sich bei unserer Auswahl beschäftigt: Immer wird einem dieses wechselseitige Inspirieren zwischen den Stilen, zwischen Klassik und Unterhaltungs-, Tanz- und Volksmusik, auch zwischen Klassik und Jazz, Pop und Rock und nicht zuletzt zwischen Musik, Literatur und bildender Kunst begegnen. Wie wichtig sind doch der Tanz, die Volksmusik schon für Henry Purcell, für Georg Philipp Telemann und Johann Sebastian Bach, aber auch für Antonín Dvořák und Percy Grainger, der ja wie Béla Bartók Volkslieder sammelte! Bach ist einer der unangefochtenen „Hausgötter“ nahezu jedes Jazzers, genauso wie Claudio Monteverdi und andere Komponisten, deren Bassmodelle schon auf den „Walking bass“ verweisen. Heinrich Schütz gilt als „Vater der modernen Musik“, sein Einfluss auf Bach ist nicht zuletzt wegen der Sprach- und Bildkraft seiner Musik enorm. Udo Lindenberg lässt sich von Robert Schumann und Gustav Mahler, Jazz und Musik der 20er-Jahre inspirieren, Rocklegende Frank Zappa hat mit Pierre Boulez zusammengearbeitet und hochkomplexe moderne Partituren mit experimenteller Elektronik entworfen. Diese Interstilistik, die die Entwicklung der Musik immer vorangebracht hat, ist auch hervorragendes Merkmal der Blasmusik, über die viele ja auch mit klassischen Komponisten, aber auch mit der Musik Udo Lindenbergs oder James Lasts in Berührung kommen – letzterer wiederum hat mit seinen Arrangements vielen Menschen Musik von Schütz, Bach, Vivaldi und anderen erst nahegebracht. Eines muss man ja auch sehen: Der Instrumentalmusik wiederum musste erst einmal der Stellenwert zukommen, der Jahrhunderte lang nur der Vokalmusik eingeräumt wurde: Damit wurde auch der Boden für die Bläserbzw. Blasmusik geebnet. Ohne einen Girolamo Frescobaldi, der nur auf den ersten Blick „nur“ ein Meister der Tastenmusik ist, wäre diese Entwicklung hin zur reinen Instrumentalmusik wohl so gar nicht angestoßen worden. Genau diese Offenheit gegenüber Musik in all ihren Erscheinungsformen zeichnet auch die BDB-Musikakademie aus! Die Geschichte der Musik ist immer auch die der Blasmusik – das „Storytelling“ ermöglicht uns, genau das zu vermitteln. Nur wer die Blasmusik gewissermaßen als völlig voraussetzungslose, ja wurzellose „Nebenerscheinung“ der Musik sieht, die wenig bis nichts mit diesen Entwicklungen zu tun hat, fragt sich, was sie mit bestimmten Komponisten zu tun hat – von denen viele ja auch für Blasinstrumente, und seien es Zinken und Dulziane, komponiert haben. In unserer Auswahl erscheint die Blasmusik als selbstverständlich in die Musikgeschichte integriert – womit wir nicht zuletzt auch einen Wandel in der Wahrnehmung von Blasmusik befördern wollen.

blasmusik: Die Komponisten finden sich nicht nur im Foyer wieder. Im Gegenteil: Ausgehend vom Foyer spannt sich der rote Faden der Musik durch das ganze Haus und knüpft ein vielschichtiges Netz aus Verbindungen und Bezügen. Welches tiefgreifende Konzept steckt dahinter?
Edda: Es ist tatsächlich eine vielstimmmige Kontrapunktik, ein dichtes Netz auch von Leitmotiven und Themen, das mit den Komponistinnen und Komponisten das Haus durchwandert. Es war auch für uns als Team faszinierend zu sehen, wie bestimmte Themen und Motive über Jahrhunderte immer wieder aufgegriffen werden: Damit meinen wir nicht nur bestimmte musikalische Gattungen und Formen wie die Toccata, das Präludium bzw. Prélude oder auch Formen wie die Fuge, die über die Zeiten hinweg wirken. Es sind auch solche Themen wie „weibliches Komponieren“, das in der neuen BDB-Musikakademie anhand der Biographien von Barbara Strozzi über Fanny Mendelssohn bis hin zu der 1968 geborenen Ernst-von-Siemens-Musikpreisträgerin Olga Neuwirth unseren Gästen nahegebracht wird:

Einer hochbegabten Frau wie Fanny Hensel, Felix Mendelssohns Schwester, die auch als eine der ersten Dirigentinnen wirkte (wenn auch nur im häuslich familiären Kreis) wurde das Komponieren, das sie wie die Luft zum Atmen brauchte, von väterlicher Seite her untersagt. Clara Schumann kämpfte mit der Mehrfachrolle der Mutter, Hausfrau und europaweit gefragten Konzertpianistin und Komponistin. Olga Neuwirth wiederum ist die erste Frau, von der eine Oper in 150 Jahren Wiener Staatsopern-Geschichte uraufgeführt wurde – und auch das nur unter heftigen Auseinandersetzungen. Diese Entwicklung ist ein wichtiges Stück Musikgeschichte, das anhand unserer Auswahl gut nachvollzogen werden kann. Andere Themen und Motive sind z. B. auch Einflüsse zwischen Swing, Jazz und Klassik oder auch Klassik in Rock- und Popmusik (Freddie Mercury zitiert ja gerne aus Bach-Kantaten und war ein großer Opernliebhaber), aber auch Musik und Literatur und Musik und Natur. Komponisten wie Sibelius, Takemitsu und Rihm verstehen ihre Werke eher als organisch keimhaft sich entwickelnde, naturhafte Strukturen und weniger als „gesetzte“ Werke. Kein Wunder, dass sie – wie Georg Philipp Telemann – oft von der Musik als Garten sprechen. Unsere Auswahl macht Musik in all diesen Erscheinungsformen erlebbar – immer wenn Zusammenhänge, Verknüpfungen deutlich werden, werden Bildungsinhalte auch einfacher greifbar. Es macht Spaß, zu erkennen, das Benny Andersson von ABBA, ein großer Bach-Fan, aus dem alten Barock-Komponisten gerne mal den „alten Schweden“ rausholt, es fasziniert, wie John Williams auf die Leitmotivtechnik Richard Wagners zurückgreift – und es berührt, wie Percy Grainger Bachs tiefsinnige Choräle in die farbintensiven Klangwunder seiner reinen Bläserbesetzungen hüllt.

blasmusik: Spätestens im Hotelzimmer merkt der Gast, dass sich das Konzept nicht in der Bebilderung mit Porträts erschöpft. Bekommt er dort doch zusätzlich Einblick in Handschriften und erhält über einen QR-Code Informationen und Hörproben. Kommt darin der Bildungsauftrag der BDB-Musikakademie zum Ausdruck?
Edda: Meine Antwort hängt eng mit der vorangehenden zusammen: Wir wollen unseren Gästen Musikgeschichte einmal anders erzählen, aus ungewohnten Blickwinkeln, mit Einsichten, die aktuelle Forschung heranziehen – die aber die Komponistinnen und Komponisten auch wirklich nahebringen, d. h. durchaus auch mal von „Sockeln“ herunterholen, ohne selbstverständlich ihr Werk in irgendeiner Weise zu schmälern. Ich persönlich halte nichts von einem allzu legeren Tonfall, wenn es darum geht, ein Werk, eine Komponistin oder einen Komponisten jemandem nahezubringen – es muss schon eine gewisse Angemessenheit vorliegen, zumindest sollte man sich darum in der Darstellung bemühen.

Was ja nicht heißt, dass man nicht durchaus launig und kurzweilig über einen Komponisten schreiben kann, dazu geben sie ja selbst oft genug Anlass! Eines muss man aber auch ganz klar sehen: Monumentalisierungen wie im Falle Bachs haben im 19. Jahrhundert im Gegenzug dazu geführt, das sein eigentlich viel erfolgreicherer guter Freund Georg Philipp Telemann als talentloser „Vielschreiber“ diffamiert wurde – das sieht man heute zum Glück viel differenzierter und in vielen Fällen wurden die Schätze so manches Komponisten und vor allem so mancher Komponistin durch diese Neubewertungen erst wieder der Öffentlichkeit zugeführt. Die neue BDB-Musikakademie kann als Bildungseinrichtung, die eine Vielfalt von Gästen begrüßen wird, hier wirklich einen trag- und zukunftsfähigen Beitrag zu einer modernen Bildung in puncto Musik und Kultur leisten, zumal die Kombination aus Texten und digitaler Technik ein modernes Informationsverhalten zusätzlich unterstützt. Vor allem soll die Kombination aus Porträt in Bild und Wort mit Hörbeispielen Lust auf mehr machen!
blasmusik: Ich kann mir vorstellen, dass da sehr viel Recherchearbeit dahintersteckt und es nicht einfach war, die Porträts und vor allem die Handschriften zusammenzutragen. Gab es einen Komponisten, eine Komponistin, der/die eine besonders „harte Nuss“ war?
Edda: Bei den Porträts war es noch verhältnismäßig einfach – aber es stimmt, dass natürlich nicht jede Handschrift „einfach so“ über eine Bibliothekswebsite einsehbar und vor allem herunterzuladen ist. Die meisten Handschriften bzw. Abbildungen von Autografen, die wir mittels Wandbildern unseren Gästen zeigen wollen, konnten wir über Fotoagenturen erwerben. Im Falle von erst vor wenigen Jahren verstorbenen bzw. noch lebenden Künstlerinnen und Künstlern gestaltet sich das Ganze begreiflicherweise schwieriger. Manchmal erinnerte das Ganze schon an detektivische Arbeit und man musste sich über einige Zeit „durchfragen“, bis man den richtigen Kontakt hatte, um vielleicht doch noch an eine attraktive Handschrift zu kommen. Die Benutzerführungen mancher amerikanischer Bibliotheken sind auch – gelinde gesagt – veraltet und es kostet einige Nerven, sich über verschlungene Systempfade bis zum erlösenden „Send“-Klick durchzuringen, wenn man es denn bis dorthin schafft … Mittlerweile haben wir aber den Großteil der Handschriften zusammen, bis auf wenige in der obersten „Sopran“-Reihe – wobei ich bei einigen noch ein „Eisen im Feuer“ habe und noch nicht ganz die Hoffnung aufgegeben, doch noch an ein Schriftstück zu kommen … Eine „harte Nuss“ ist im Moment noch Glenn Miller, wo ich mittlerweile zwar eine Kontaktadresse habe, aber mich noch in Geduld üben muss. Auch bei Toru Takemitsu, der u. a. faszinierende Werke für Bläser, z. B. für Klarinette geschrieben hat, harre ich noch einer – hoffentlich – positiven Antwort aus Japan. Wir können unseren Gästen aber schon eine stattliche Anzahl von Handschriften von der Renaissance bis in die Gegenwart präsentieren.

blasmusik: Und mit welchem Namen verbindet sich Dein größtes Erfolgserlebnis und Deine schönste Anekdote?
Edda: Ich habe eigentlich jedes Mal innerlich gejubelt, wenn ich wieder mal einen positiven Bescheid aus irgendeinem Winkel der Erde oder auch von der Preußischen Staatsbiblliothek zu Berlin erhalten habe, die übrigens – wie eigentlich alle Institutionen, die ich um Unterstützung gebeten habe – überaus freundlich und hilfsbereit war. Das Interesse an der neuen BDB-Musikakademie, am BDB-Kulturhotel und an unserer Arbeit dort ist enorm. Begreiflicherweise nehmen dort viele das Angebot dieses neuen Hauses noch einmal ganz anders wahr als wir. Für uns ist das ja beinahe schon eine gewisse „Selbstverständlichkeit“. Begeistert war ich, als ich von der Percy Grainger Society New York und dem Grainger Museum Melbourne die Erlaubnis erhielt, die erste Seite von „Lincolnshire Posy“ für unser Projekt zu verwenden, ein ganz besonderes „Schmuckstück“ unserer Sammlung. Besonders berührt hat mich, mit welchem Interesse und welcher Hilfsbereitschaft die Familie von Robert Stolz – auch wieder so ein faszinierender, vielfach inspirierender Grenzgänger zwischen Klassik, Jazz und Unterhaltungsmusik, in dessen Leben sich nahezu hundert Jahre Musikgeschichte spiegeln – unsere Arbeit begleitete: Seinen UNO Marsch, ein Dokument auch seines steten Kampfes um Verständigung und Frieden mit den Mitteln der Musik, dürfen wir in Auszügen zeigen. Wenn man dann noch mit Ron Last auf einem Parkplatz in Freiburg über eine Stunde telefoniert und die Aussicht erhält, etwas von James Last – noch so ein faszinierender Grenzgänger! – zeigen zu dürfen, ist das Glück eigentlich perfekt!
blasmusik: Das hört sich total spannend und danach an, als hätte das Projekt eine Strahlkraft in die ganze Welt hinaus entwickelt. Hat sich die BDB-Musikakademie mit dem Neubau auch neu in der musikalischen Welt verortet?
Edda: Sie hat auf alle Fälle, denke ich, mit dem neuen Haus und all dem, was es erfüllt, ganz neue Möglichkeiten, das, was ihre DNA ausmacht, nämlich das inspirierende und fruchtbringende Ineinander von Amateurund Profimusik im Verein, mit ihrem weit gefächerten Bildungsangebot neu und auf sehr attraktive Weise zu präsentieren. Ihr unverwechselbares Profil kann sie so noch schärfen. Die Aufmerksamkeit für dieses neue „Kulturhaus“ ist da – und sie wird zunehmen. Allen Unkenrufen zum Trotz erleben wir doch auch immer wieder, wie sehr sich Menschen, egal, welchen Alters, von Musik, von Kunst und Kultur berühren, faszinieren und inspirieren lassen. Es ist immer noch ein – bewusstes oder auch „nur“ inneres – Wissen da, dass Kunst und Musik viel mit unserem Sein zu tun hat und das gemeinsames Musizieren ein wesentlicher Tragpfeiler unseres gesellschaftlichen Miteinanders ist. Die besondere Art und Weise, wie Bildungsinhalte in der BDB-Musikakademie vermittelt werden, kommt diesem bleibenden Bedürfnis auf ideale Weise entgegen – und kann einen wesentlichen Beitrag leisten, Menschen jeder Herkunft und jeden Alters Zugang zu Bildung und Kultur zu eröffnen.