Die Corona-Pandemie hat tiefe Wunden in der Kulturlandschaft hinterlassen. Viele Vereine waren – und sind es noch – mit existenzbedrohenden Herausforderungen konfrontiert: Neben den wirtschaftlichen Einbußen sind Rückschläge in der Nachwuchsarbeit zu verkraften. Der Verlust von angestammten Probenräumen erschwert zudem die kulturelle Arbeit von Vereinen. Um sie zu unterstützen, hat die BDB Akademie die drei Programmlinien ZukunftVerein, MusikRaumAkustik und music4beginners aufgebaut. Ihr Kerngedanke: die Spielfähigkeit der Vereine wiederzubeleben und nachhaltig zu sichern. Dass sie Früchte tragen, zeigen im 1. Teil Beispiele aus der Praxis von Musik-RaumAkustik.

Es gehört zum Selbstverständnis des BDB, dass er als Interessenvertreter der Vereine und Partner des Ehrenamts stets am Puls der Basis und ihrer Bedürfnisse ist. Im Zuge der Pandemie wurde den Verantwortlichen deutlich, dass es vor allem drei Bedarfe sind, auf die es mit möglichst passgenauen Hilfs- und  Förderprogrammen zu reagieren gilt:

  • Beratung zu Infektionsschutz, Raumluftqualität und Akustik als unabdingbare Voraussetzungen für ein gesundes, probenpädagogisch sinnvolles Musizieren,
  • Existenzsicherung der Vereine, Chöre und Ensembles durch professionelles und zeitlich wie örtlich flexibles Coaching von Vereinsverantwortlichen,
  • Stärkung der Nachwuchsarbeit durch ein innovatives online Unterrichtsangebot für erwachsene Neu- bzw.Wiedereinsteiger:innen.

Mit der Förderung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, auf diese grundlegenden Herausforderungen adäquat zu antworten. Um möglichst viele Personen und Vereine zu erreichen, sollte ein barrierefreies und kostengünstiges bzw. kostenfreies Angebot geschaffen werden, das so flexibel ist, dass es die Möglichkeit bietet, Weiterbildung mit beruflichen und familiären Verpflichtungen zu verbinden. Schnell war klar, dass Online-Angebote am besten in der Lage sind, diese Anforderungen zu erfüllen. Dank der Erfahrung und Expertise von Wissenschaftler:innen, Berufsmusiker:innen und Fachleuten aus den eigenen Reihen konnte in kürzester Zeit der „Dreiklang“ der drei Programmlinien inhaltlich entwickelt und ihre Beratungsleistungen und Bildungsangebote über Webseiten beworben werden. Die Zahl der Nutzer:innen nimmt seither stetig zu und trägt zunehmend Früchte, wie die Beispiele aus dem Beratungsangebot von MusikRaumAkustik zeigen. Das Bewusstsein für die Bedeutung von Akustik und Raum- bzw. Raumluftqualität für ein sicheres, erfolgreiches und sinnhaftes Musizieren ist in der Pandemie gewachsen und geschärft worden. Das spiegelt sich in der Arbeit des Clusters „Wissenschaftliche Grundlagen” des Kompetenznetzwerkes NEUSTART AMATEURMUSIK des Bundesmusikverbandes Chor & Orchester e. V. (BMCO) wider. Ein zentrales Ergebnis der Tätigkeit des Teams im Kompetenznetzwerk ist die Publikation „Grundlagen für das Musizieren unter Pandemiebedingungen“. Sie liefert die evidenzbasierte Grundlage für Empfehlungen und Schutzmaßnahmen, mit deren Hilfe gemeinsames Singen und Musizieren sicherer gestaltet werden kann. Auf dieser Basis wurde das Konzept für sichere Proben und Konzerte unter Pandemie-Bedingungen geschaffen, das alle Amateurmusikverbände Baden-Württembergs in 2021 erstmals geschlossen unterstützten. Dieses Konzept wird von der Arbeitsgruppe auf Basis  wissenschaftlicher Erkenntnisse stets aktuell gehalten und mündet regelmäßig in handliche Anleitungen (https://www.bdb-online.de/corona/) für die praktische Arbeit. Auf der Wissensplattform für die Amateurmusik www.frag-amu.de sind diese stets aktuell verfügbar. Mit der wissenschaftlich fundierten Aufbereitung der Informationen rund um sicheres Musizieren speziell für die Amateurmusik war das Fundament für das Serviceprogramm MusikRaumAkustik der BDB Akademie gelegt. Gleichzeitig reagiert die Serviceberatung MusikRaumAkustik aber auch auf grundlegende Probleme und Bedürfnisse der Amateurmusikbranche. Der Raum macht die Musik: Von seiner akustischen Beschaffenheit und Luftqualität hängt maßgeblich ab, ob Kulturschaffende ihren unverzichtbaren Beitrag zu einem gelingenden Gemeinwesen überhaupt leisten können. Denn über die Zukunft und den musikalischen Erfolg eines Ensembles bestimmt nicht zuletzt der Probenraum. Eine gute Akustik und eine angemessene Raumluftqualität bzw. Lüftungsmöglichkeit des Raumes beeinflussen  wesentlich Motivation und Effizienz der musikalischen Arbeit. Neben dem Ansteckungsrisiko führt eine schlechte Raumluftqualität schnell zu körperlicher und geistiger Ermüdung, sodass erfolgreiches und sinnhaftes gemeinsames Musizieren nicht mehr möglich ist. Eine schlechte Raumakustik führt nicht nur dazu, dass die Musizierenden sich gegenseitig nur schlecht oder gar nicht hören, sie kann sogar gesundheitliche Beeinträchtigungen hervorrufen: Ist der Schalldruckpegel beim Musizieren zu groß (z. B. bei einer zu engen Sitzordnung zwischen Bläsern oder bei zu großer Nähe zum Schlagwerk) und überschreitet langfristig 80 dB(A) oder 135 dB(C), kann dies ernsthafte gesundheitliche Folgen haben (Schädigungen des Gehörs wie Tinnitus, Taubheit, aber auch Herz-Kreislauf Erkrankungen). Viele Vereine und Ensembles proben seit jeher in kleinen Räumen, die nicht oder nur unzureichend für das Musizieren geeignet sind.  Bedingt durch die Pandemie mussten viele Ensembles in andere Räumlichkeiten ausweichen, um z. B. die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Viele dieser Räume sind aber akustisch nicht geeignet und auch in puncto Raumluftqualität problematisch. Hier setzt die Serviceberatung MusikRaumAkustik an. Das Team, das Anfang Juni 2022 mit Freigabe der Website www.musikraumakustik.de an den Start ging, wird von einem fünfköpfigen Team um die Physikerin Dr. Saskia Meißner getragen, das Teil des Clusters „Wissenschaftliche Grundlagen“ ist. Das Beratungsteam unterstützt Musikvereine, Chöre und Ensembles mit Informationsmaterial und persönlichem Support dabei, ihre Probenräume akustisch und/oder raumlufttechnisch zu optimieren. Gebündelte Informationen zu den Themen „Akustik in Probe- und Aufführungsräumen“, „Gesunde Raumluft bei Proben und Konzerten“ und zum Infektionsschutz „Gemeinsames Singen und Musizieren sicher gestalten“ werden bereits auf der Website www.musikraumakustik.de zur Verfügung gestellt. Bei Bedarf führt das Team seine Beratung auch vor Ort in den Räumen der Vereine in Baden-Württemberg durch.

Beratung bietet Hilfe zur Selbsthilfe

Ausgehend von einer Selbsteinschätzung des jeweiligen Vereins über ein Online-Kontaktformular, können der aktuelle Zustand, die Ausstattung und die akustische Situation des Raumes bereits im Vorfeld erfasst werden. Eine Messung der Nachhallzeiten im Raum vor Ort sowie die Dokumentation der Raumkubatur und der Materialien bilden die Basis für Empfehlungen zur Verbesserung der Raumakustik, der Belüftung und ggf. auch weiterer Details wie der Beleuchtung und der energetischen Situation. Für Räume, die schlichtweg zu klein sind, erstellt das Team für den jeweiligen Verein eine Empfehlung, die als Übergangslösung auf dem Weg zu einem größeren Raum dient. Um die Beratung möglichst anschaulich zu gestalten, greift das Team neben eigens entwickelten Vorlagen auch auf vorliegende Bauanleitungen für Akustikelemente zurück und baut diese z. T. selbst nach, um den Vereinen leicht fassbare und gut umsetzbare Beispiele zu liefern. Hier hat das Team auch den Kostenfaktor im Blick: Ziel ist, dass  Vereinsverantwortliche auch in Eigenregie und damit kostensparend bauliche Maßnahmen zur Akustikverbesserung vornehmen können. Die Stärke von MusikRaumAkustik liegt dabei im individuellen Zuschnitt ihrer Beratung: Ob Chorproben im Gewölbekeller oder eine hallige Kirche, die zum multifunktionalen Raum für verschiedene Vereine und Ensembles umgestaltet werden soll – wissenschaftliche Expertise, eigene langjährige musikalische Erfahrung, kreatives Know-how und nicht zuletzt der stete Einbezug von Rückmeldungen von den Vereinen selbst ermöglichen eine passgenaue und stets aktualisierte Beratung.

Von der Kirche zum “Haus der Musik” in Bräunlingen

Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Beratungsleistung von MusikRaumAkustik ist das „Haus der Musik“ des Musikvereins Bräunlingen. Fünfzig Jahre probte der Musikverein im Dachgeschoss einer Schule, das nach einer Brandschutzbegehung nur noch für 40 Musiker:innen zugelassen war. Die zum Verkauf stehende evangelische Kirche in Hüfingen-Bräunlingen bot dem Musikverein die Chance, einen Probenraum nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die immer schon bestehende Nähe von kirchlichem Raum und Musik führte zu einem Nutzungskonzept eines „Hauses der Musik“, das außer für den eigenen Proben- und Konzertbetrieb und der Jugendarbeit auch anderen Kulturvereinen (Chöre, Theatervereine etc.) zur Verfügung stehen soll. Mit einem vom Beratungsteam gemessenen Nachhall von fast 3 Sekunden (für eine Probe sind ca. 0,8 s optimal – für ein Konzert mit Chor/kleinem Ensemble ca. 1,4 s) war die Kirche jedoch für ein Blasorchester von 60 bis 80 Musiker:innen in puncto Lautstärke und klanglicher Transparenz nicht geeignet. Die glatten, massiven Wände reflektieren fast den gesamten Schall und die kleinen Fensterflächen bieten kaum Absorption im Tieftonbereich. Entsprechend sieht das umfangreiche Empfehlungskonzept von MusikRaumAkustik einen großen Anteil absorbierender Wandelemente sowie variable Vorhangflächen vor. Da Musizieren umso besser gelingt, je besser sich die Musizierenden gegenseitig hören und aufeinander abstimmen können, sind im unteren Wandbereich Diffusorelemente vorgesehen, die gleichzeitig tiefe Frequenzen absorbieren sowie ergänzend ein Deckensegel (Reflektor) über dem Orchester.

Doch kein hoffnungsloser Fall – das neue Probelokal des MV Eberfingen

Chöre, die in Gewölbekellern singen, Musikvereine, die in Gemeindesälen, Kirchen und Turnhallen proben – die Anwendungsgebiete für MusikRaumAkustik sind vielfältig und die Nachfrage nach professioneller Unterstützung steigt zunehmend. Aktuell haben sich insgesamt 19 Kulturvereine bei der Serviceberatung gemeldet. Einer von ihnen ist der Musikverein Eberfingen aus dem Blasmusikverband Hochrhein. Ihm erging es wie so vielen anderen Vereinen in der  Pandemie: Das angestammte Probenlokal war zu klein, um die vorgeschriebenen Abstände einzuhalten. Verschärft wurde die Situation noch durch den glücklichen Umstand, dass das Orchester Zuwachs aus der Jugend erhielt und auf knapp 70 Musiker:innen angewachsen war. Vorübergehend probte das Orchester in einem Kartoffellager, bevor es in den Gemeindesaal umzog. Da dieser ebenfalls zu klein war, teilte sich das Orchester auf und bereitete 2021 – um die Abstandsregeln einzuhalten – in zwei Besetzungen ein Konzert vor: „Die halbe Mannschaft hat moderne Blasmusik, die andere Hälfte traditionelle Blasmusik einstudiert. Das hat sich ganz selbstverständlich aus den persönlichen Vorlieben ergeben,“ berichtet Vorsitzender Tobias Schönle. Seit Ostern probt das Orchester nun in voller Besetzung im Mehrzweckraum des Dorfes und erfährt in den wöchentlichen Proben, was im Grunde alle schon wussten: „Der Raum ist alles andere als ideal und deutlich zu laut“, weiß Tobias Schönle. Auch die gewünschte Kubikmeteranzahl pro Musiker:in erfüllt der Raum nicht. „Da sind wir weit davon entfernt. Eigentlich dürften wir in dem Raum nur mit 20 bis 25 Musikern proben.“ Mit Vorhängen und selbst gebauten Akustikelementen versuchte der Verein selbst Abhilfe zu schaffen. Für Tobias Schönle war das der Punkt, an dem er die Programmlinie MusikRaumAkustik mit ins Boot holte. „Bevor wir etwas fest installieren, wollten wir die Einschätzung der Fachberater hören“, berichtet Schönle. „Die Wahrnehmung ist doch sehr subjektiv. Manche haben durch die Akustikelemente eine Verbesserung gespürt, andere nicht“, berichtet er. Was es jetzt brauchte, war eine objektive Bewertung der räumlichen Situation. Und die konnte Saskia Meissner von MusikRaumAkustik liefern. Sie fuhr nach Eberfingen und führte vor Ort mehrere Messungen durch. Diese bestätigten die Selbsteinschätzung des Vereins: Ohne die Absorber und Vorhänge entspricht die gemessene Nachhallzeit von im Mittel 0,96 s der Auslegung des Raumes für Sprachnutzung. „Die starke Frequenzabhängigkeit, insbesondere die deutlich längere Nachhallzeit von 1,2 s um 2 kHz, der Frequenz, bei der das menschliche Gehör die größte Empfindlichkeit aufweist, machen den Raum ohne Dämpfung bei musikalischer Nutzung sehr unangenehm“, schreibt Saskia Meissner dazu in ihrem Bericht und ergänzt: „Mit der selbst gebauten Dämpfung durch zwei Vorhänge sowie Breitbandabsorber wird die Nachhallzeit bei höheren Frequenzen bereits deutlich reduziert. Insbesondere die Überhöhung bei 2 kHz wird wirksam reduziert. Dies gilt jedoch nicht für die tiefen Frequenzen, die mit den realisierten Maßnahmen nur schwach gedämpft werden.“ Auch in Bezug auf die Raumgröße ist für Saskia Meissner die Situation eindeutig. Der 14,78 m auf 8,08 m große Probenraum mit einer ansteigenden Raumhöhe bietet bei voller Besetzung des Orchesters jedem Musiker ein Volumen von nur 5,9 m3. „Nach Empfehlung der ISO 23591 sollen für Ensembleproben jedoch mindestens 25 m3 je Musizierendem zur Verfügung stehen, bei einem Blasorchester sind sogar 50 m3 je Person empfohlen“, weiß Saskia Meissner. Um trotz des geringen verfügbaren Volumens den Schalldruckpegel auf ein angemessenes Maß zu begrenzen, muss der Raum deshalb stärker gedämpft werden, als es für eine gute Akustik bei Proben ideal wäre. „Für eine gute Transparenz sollte das Orchester gegen eine akustisch diffuse Fläche spielen“, empfiehlt sie. „Dafür kann zum Beispiel die Aufstellung im Raum umgekehrt werden, sodass die Instrumente Richtung Innenwand ausgerichtet spielen, die hinter dem Dirigenten mit Diffusorelementen belegt wird. So wird der Schall des Orchesters ins gesamte Orchester gleichmäßig zurück reflektiert.“ Gleichzeitig sollten die übrigen Oberflächen, insbesondere die Fensterfront hinter dem Schlagzeug, stark bedämpft werden, weil so – um die Transparenz zu gewährleisten – eine diffuse Erstreflexion entsteht, während die Lautstärke durch die unterdrückten Sekundärreflexionen begrenzt wird. Wichtig fände Saskia Meissner, dass die absorbierenden Elemente variabel ausgeführt werden, um sie an die Nutzung  anpassen zu können. „So, dass auch in kleineren Besetzungen oder im Einzelunterricht über eine gute Akustik verfügt werden kann, die eine Selbstkontrolle des erzeugten Tons erlaubt“, betont sie.

Damit sich die Probenarbeit noch besser hören lassen kann

Der detaillierte Bericht liegt dem Musikverein Eberfingen nun seit einigen Wochen vor. Er hat dem Verein und seinen Verantwortlichen deutlich gemacht, dass die akustische Situation im neuen Probenlokal doch nicht „der hoffnungslose Fall“ ist, wie von Tobias Schönle befürchtet. Vielmehr hat die objektive Einschätzung des Expertenteams um Saskia Meissner den Verantwortlichen bestätigt, dass sie die Situation mit eigenen Maßnahmen selbst und kostengünstig verbessern können. Nicht zuletzt ermöglicht der Berichtdem Verein, seine Belange und Interessen den Entscheidungsträgern der Gemeinde gegenüber klar zu formulieren und zu kommunizieren. Der Musikverein Eberfingen jedenfalls hat den Bericht inzwischen  in die Gemeinde weitergeleitet, als Grundlage für die Abstimmung über die weiteren Maßnahmen. Obwohl das Thema Akustik dem Musikverein unter den Nägeln brennt, muss es zumindest für die nächsten zwei Wochen aufgeschoben werden. Denn nach drei Jahren steht endlich das erste Konzert in vollständiger Besetzung wieder an. „Es wird Zeit, dass wir uns wieder als ein Verein erleben“, findet Tobias Schönle. Danach aber wird er sich mit seinem Team und in Abstimmung mit der Gemeinde an die Umsetzungen der Empfehlungen von Saskia Meissner von MusikRaumAkustik machen. Schließlich sind auch in der Halle, in der das Konzert stattfinden wird, die akustischen Voraussetzungen für das Orchester alles andere als ideal. Auch dazu hat das Team von MusikRaumAkustik bereits seine ersten Empfehlungen abgegeben – damit sich die Ergebnisse der Probenarbeit in Zukunft noch besser hören lassen können.