Die äußere Hülle des neuen Akademiegebäudes steht, der Rohbau ist geschlossen und die Fassade bereits mit Klinkern bestückt. Während das Gebäude noch auf den großen Namensschriftzug wartet, erhalten die Säle und Räume im Gebäudeinneren bereits ihre Namen. Welche Kriterien bei der Auswahl der Namen eine Rolle spielten und warum das Restaurant nach Rossini benannt ist und der Orchestersaal den Namen von Johann Sebastian Bach tragen wird, darüber geben Edda Güntert, Siegfried Rappenecker und Christoph Karle im Interview Auskunft.

blasmusik: In einem monatelangen Prozess haben Sie drei sich intensiv Gedanken über die Benennung der Säle und Räume des neuen Akademiegebäudes gemacht. Warum ist es Ihnen wichtig, dass jeder Raum seinen individuellen Namen bekommt?

Karle: Ein Haus, in dem Bildung – zumal musikalische – lebt und gelebt wird, ist mehr als ein „Gebäude“, in dem „unterrichtet“ wird. Die BDB Akademie in Staufen ist ein Kompetenzzentrum von überregionaler Strahlkraft. Hier finden Meisterkurse und Konzerte, Seminare und Workshops mit renommierten Solist:innen und Expert:innen statt. Die neue Akademie wird dafür optimal ausgestattet sein und ausreichend Platz bieten, sodass wir das Bildungsangebot vielfach erweitern und im Sinne des Kooperationsvertrages mit dem Landesmusikverband (LMV) für neue Zielgruppen öffnen können – bis hin zu  Bildungsangeboten für Ensembles der gesamten Amateurmusik (Chöre, Vereine der Blas-, Saiten-, Zupf- und Akkordeonmusik). Ganz im Sinne dieses offenen, interdisziplinären Geistes verstehen sich die neue Akademie und ihr Kulturhotel als ein verdichtender und hervorragender „Knotenpunkt“ im kulturellen
Leben der Musikwelt, in dem sich die vielfältigen Linien und Sparten von Amateur- und Profimusik gewinnbringend vernetzen und Hotelgästen sowie Gastgruppen Kulturerlebnisse auf hohem Niveau ermöglichen. Dass ein solches Bildungs- und Kulturhaus in Auftrag, Anspruch und Zielsetzung einer besonderen Einrichtung bedarf, versteht sich von selbst.

Rappenecker: Und Teil dieser im Wortsinn „inneren“ Einrichtung ist es eben, das Bildungsangebot der BDB Akademie im Sinne ihres Mottos „Bildung, die bewegt“ als Bildungserlebnis sowie das Akademiegebäude sozusagen als eine „Partitur über alle Stimmlagen“ sicht-, fühl- und hörbar werden zu lassen. Daher kam schon früh der Gedanke auf, die Räume (Konzertsäle, Seminar- und Aufenthaltsräume und Hotelzimmer) mit Namen herausragender Komponist:innen zu versehen.

blasmusik: Nun ist die Anzahl der Räume in der neuen Akademie ja begrenzt. War es nicht schwer, sich auf eine Auswahl zu beschränken?

Güntert: Dass wir uns angesichts einer begrenzten Zahl von Räumlichkeiten beschränken und eine Auswahl treffen müssen, das war uns von vorneherein klar. Ebenso selbstverständlich war, dass wir die Auswahl nicht beliebig oder willkürlich treffen können. Und so haben wir – um eben genau diesem möglichen Vorwurf der Willkürlichkeit entgegenzuwirken – auf der Grundlage musikwissenschaftlicher Erkenntnisse Kriterien entwickelt, die erfüllt sein müssen und denen jeder einzelne Name entsprechen muss.

blasmusik: Welche Kriterien sind das?

Karle: Zum einen die Nähe zu Blasmusik, Chor-, Saiten- und Tastenmusik als Eckpfeiler der BDB Akademie. Zum anderen waren „künstlerische Exzellenz“ und „musikgeschichtliche Schlüsselwirkung“ für uns wichtige Auswahlkriterien. Daneben war es vor allem die Strahlkraft über Epochen und Gattungsgrenzen hinweg und die Interdisziplinarität, die unsere Auswahl bestimmten. Berücksichtigt haben wir bei unseren Kriterien auch die für unsere Akademie wichtigen Konzepte eines generationsübergreifenden Musizierens und lebenslangen Lernens. Deutlich wird dies in der Würdigung herausragender Komponist:innen mit musikpädagogischer Strahlkraft: So werden die Konferenzräume z. B. die Namen so großer kompositorischer Lehrpersönlichkeiten wie Nadia Boulanger oder Leonard Bernstein tragen.

blasmusik: Neben Namen aus der Blasmusik erscheinen in Ihrer Liste auch solche, die auf den ersten Blick nichts mit dieser zu tun haben.

Rappenecker: Ja, aber eben nur auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, dann erkennt man z. B., dass alle Komponist:innen herausragend komponierten. So hat beispielsweise der „Walking Bass“ – als Fundament des Jazz – seine Vorbilder in barocken Bassmodellen; dass sich selbst Johann Sebastian Bach in seiner Musik bei aller Kunstfertigkeit vom Tanz, von der Musik des Volkes und musikalischen Vorbildern hat inspirieren lassen und die Blasinstrumente in vielen Werken eine außerordentliche Rolle spielen; dass die sog. „türkische Musik“ bei Mozart und Beethoven, die Blas- und Militärmusik  bei Gustav Mahler ihre Spuren hinterlässt; dass afroamerikanische Spirituals und europäische Klassik das Werk von George Gershwin auch über den Einsatz  von Blasinstrumneten beleben, der „King of Swing“ Benny Goodman, der selbst Klarinettist war, Bartók und Hindemith zu Werken anregte – und die Beatles in ihrer Musik einen Sound entwickeln, in dem spürbar klassische Vorbilder wirken.

blasmusik: Sie haben eben viele berühmte und bekannte Namen aufgezählt. Kann man als musikinteressierter Gast der BDB Akademie auch noch Entdeckungen machen?

Karle: Absolut! Dass gerade die Blasmusik zu Entdeckungen einlädt, zeigt neben Werken Rolf Rudins und Alfred Reeds eindrücklich das Schaffen des Beethoven-Zeitgenossen François-Joseph Gossec, der als Pionier der „Harmoniemusik“ mit seinen Bläser-, Orchester- und Chorwerken aktuell eine beeindruckende Renaissance in Aufnahmen und Konzerten erfährt. Gerade zu solchen neuen Sichtweisen lädt die BDB Akademie ganz bewusst im Sinne einer „Open minded“-Philosophie ein: Sie schafft Begegnungen auch mit Werken solcher Komponisten und Komponistinnen, die aufgrund einer reduzierenden Musikgeschichtsschreibung und Vor- und Fehlurteilen aus dem Blick geraten sind, die es aber mehr als wert sind, wiederentdeckt und gewürdigt zu werden.

blasmusik: Sie haben zu Beginn von einer „inneren Einrichtung“ gesprochen. Diese wird sich sicherlich nicht im einzelnen Namensschild an der Tür  erschöpfen, oder?

Karle: Nein, natürlich nicht. All diese Namen bilden nicht nur ein in sich schlüssiges „Netzwerk“ über Stile, Epochen und Musikgattungen hinweg, das die gesamte Anlage des Gebäudes als „Casa con variazioni“ durchwandert. Vielmehr sollen dessen Spuren für die Gäste von Akademie und Kulturhotel überall erfahr- und greifbar werden – nicht nur in der Beschriftung und Bebilderung, sondern auch in der innenarchitektonischen Gestaltung und Ausstattung der Räume. Das gilt für den Konzertsaal, Konferenz- und Seminarraum ebenso wie für Restaurant und Bar: Ob man im Beethoven- oder Bach-Saal für ein Konzert probt, sich beim gemeinsamen Essen im „Rossini“-Restaurant und in der Bar „Louis“ (Armstrong) locker austauscht und sich danach im ruhigen Gästezimmer einem Komponisten-Portrait widmet – die inspirierende Präsenz der großen Komponist:innen der Musikgeschichte soll überall wirken und anregen.

blasmusik: Für Musikwissenschaftler mag es selbstverständlich und selbsterklärend sein, dass die großen Säle die Namen Bach und Beethoven und das Restaurant den Namen Rossini trägt. Wie würden Sie diese Zuordnungen dem Amateur erklären?

Güntert: Was viele nicht wissen: Bach stammt aus einer Familie von „Stadtpfeifern“, die ja die Ahnherren der städtischen Musikvereine sind! Er ist – wie viele Kinder heute, die im Blasmusikverein sind – mit dieser Musik und ihren Traditionen groß geworden. In alter Zeit waren die Grenzen zwischen der einen und anderen Form von Musik noch nicht so scharf und vor allem wertend getrennt wie heute: Damit steht Bach für einen Kerngedanken der BDB Akademie, nämlich für die enge Verbindung und wechselseitige Befruchtung von Bläsermusik und sog. „klassischer“ Musik, die wir in der neuen Akademie zusätzlich sichtbar machen und vor allem intensiv im gemeinsamen Musizieren pflegen wollen. Außerdem ist Bach so etwas wie der „Knotenpunkt“ in der  Musikgeschichte: Ob Sie nun Johannes Brahms befragen, von dem das Wort „Studiert Bach, dort findet ihr alles!“ stammt – oder die berühmte afroamerikanische Jazz-Musikerin Nina Simone, die bekannt hat: „Bach made me dedicate my life to music“ – Bach ist einfach universell oder wie Max Reger sagte „Anfang und Ende aller Musik“. Bei Beethoven ist es ähnlich. Für ihn war Bach – wie er selbst gesagt hat – das „Meer“, aus dem er selbst für sein Werk geschöpft hat. Die Romantiker, Schumann und Brahms, sind über ihn wieder „Enkelschüler“, Mendelssohn hat ja zum ersten Mal wieder die Matthäus-Passion
aufgeführt und damit eine Bach-Renaissance ausgelöst. Die Bläser- und Militärmusik – von Beethoven stammt der berühmte „Marsch des Yorckschen Korps“, den jeder Musikverein kennt – ist zentral in seinem Werk. Rossinis Musik wiederum lebt aus der Verschmelzung von italienischer und französischer Musik, ihre Schönheit wurzelt im italienischen „Belcanto“ – das ist eine Gesangsrichtung zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die auch für die Entwicklung der Bläsermusik ganz zentral war. Darüber hinaus war Rossini ein echter Genießer, hat gerne ausgiebig mit Freunden getafelt und gut gespeist: Wenn wir das Restaurant also „Rossini“ nennen, wollen wir auch das Schöne, den Genuss betonen, der für alle drei Komponisten wichtig war: Musik ist Freude, Musik schafft Nähe – Musik  ist das Leben. Was passt besser zu dieser Akademie als dieser Gedanke!

blasmusik: Bach und Beethoven sind also gesetzt. Was ist mit Mozart? Ist er durch das Raster gefallen?

Rappenecker: Keineswegs! Im Gegenteil. Mit Mozart haben wir etwas Besonderes vor: Einmal trägt eines der Gästezimmer seinen Namen. Sein Werk, in dem ja die Bläsermusik einen zentralen Stellenwert einnimmt und das gleichfalls einen der „Knotenpunkte“ der Musikgeschichte darstellt, wollen wir würdigen und „in Bewegung“ halten, indem wir vor allem Kinder und Jugendliche einbinden und dazu anregen, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Aus der Verbindung von Musik- und Kunstunterricht in den Schulen zum Beispiel könnten ganz verschiedene Projekte entstehen, die Kinder an Mozarts Musik heranführen – dazu haben wir schon einige Ideen.

blasmusik: Aufgrund der traditionellen Geschlechterrollen war vielen Frauen trotz herausragender Begabung der Weg in den Musikerberuf verwehrt. Gibt es dennoch Musikerinnen und Komponistinnen, die Eingang gefunden haben in den Namenskanon der neuen BDB Akademie?

Güntert: Ja, das war uns sehr wichtig. Die von uns ausgewählten und damit auch stellvertretend wirkenden Komponistinnen sind faszinierende Persönlichkeiten mit spannenden Biographien, die alle von den besonderen Bedingungen weiblichen Komponierens erzählen. Nadia Boulanger zum Beispiel war die wohl bedeutendste Musikpädagogin ihrer Zeit. Unter ihren zahlreichen Schülern ragen solche Namen wie George Gershwin, Astor Piazzolla, Leonard Bernstein, Igor Strawinsky und Quincy Jones hervor. Sie war in vieler Hinsicht eine echte Pionierin. Unterstützt von Louis Vierne und Gabriel Fauré, war sie eine der ersten Frauen, die an der Kirchenorgel – eine bis dato absolute Männerdomäne! – reüssierten. 1938 dirigierte sie als erste Frau das Boston Symphony Orchestra! Sie nahm Werke von vergessenen Komponisten auf, gab ihr eigenes Komponieren aber nach dem frühen Tod ihrer Schwester Lili – ebenfalls eine  grandiose Komponistin – auf, um sich ganz ihrer Lehrtätigkeit zu widmen. Für sie gilt, was für Fanny Hensel (die Schwester Felix Mendelssohns) und Clara Schumann, aber auch für eine frühbarocke Komponistin wie Barbara Strozzi gilt: Komponieren war für Frauen (wenn es ihnen nicht gänzlich untersagt oder massiv erschwert wurde, wie im Falle Fanny Hensels) nur in bestimmten Gattungen – Gesang, Klavier – und unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Sie sahen sich ständig dem Vorwurf der „Unnatürlichkeit“ ausgesetzt. Selbst eine mit zahlreichen wichtigen Preisen wie z. B. dem Ernst von Siemens-Musikpreis ausgezeichnete und wichtige zeitgenössische Komponistin wie Olga Neuwirth sagt, dass ihre persönliche Geschichte des Komponierens „auch die Geschichte der ständigen Infragestellung des Komponierens einer Frau“ ist. Das verbindet unsere Komponistinnen über die Epochen hinweg. Es bleibt ein wichtiges Thema, wo sich aber – gerade auch in der BDB Akademie! – ganz viel bewegt, gibt es doch gerade hier eine stetig wachsende Zahl von Frauen, die sich aus- und weiterbilden und hier ganz selbstverständlich ihre Positionen einnehmen.

blasmusik: Warum die ganze Mühe? Was versprechen Sie sich insgesamt von der Namensgebung der Säle und Zimmer?

Karle: Bildung, die „bewegt“ ist Bildung, die nachhaltig wirkt und damit Menschen auch langfristig an diese Akademie bindet: Eine große Chance dieser „inneren Einrichtung“ von Akademie und Kulturhotel ist es, über das Raum- und Zimmernamenkonzept Identifikation für die Gäste und Besucher zu schaffen. Es war von Anfang an ein großes Anliegen unserer Storytelling-Arbeitsgruppe, dass sich durch die neue Akademie ein thematischer roter Faden zieht und das Gebäude inspirierende Geschichten erzählt. Unsere Gäste können sich bei Rossini zum Essen und bei Louis auf einen Drink treffen und dann an der Bar über  die Namensgeber ihrer Hotelzimmer miteinander ins Gespräch kommen – so jedenfalls stellen wir uns das vor und so – nämlich als inspirierenden und anregenden Ort wünschen wir uns die neue BDB Akademie. Und nicht zuletzt stärkt die Namensauswahl in ihrer Schlüssigkeit das Erscheinungsbild der  Akademie als Einrichtung, die modern, offen und zukunftsorientiert und gleichzeitig geschichts- und traditionsbewusst und ihrem Kernthema „Blasmusik” verbunden ist.

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