Schon seit bald 25 Jahren wird nicht nur in der Musikschule, sondern auch der Grundschule in Bönnigheim Musik gemacht. Denn dort gibt es die Bläserklassen, ein Kooperationsprojekt der Musikschule mit der Grundschule. Dieses Projekt ist so erfolgreich, dass es auch in Erligheim und Kirchheim fortgesetzt wurde – und mittlerweile sogar im ganzen Land Wellen geschlagen hat.

„Wir haben keine Mitglieder“ – diese Aussage muss sich Rainer Falk, Direktor der Musikschule Bönnigheim, von seinem Musikverein nicht mehr anhören. Denn er hat gemeinsam mit der Grundschule in Bönnigheim ein Konzept entworfen, mit dem Kinder schon früh an die Musik herangeführt werden und das es mittlerweile in vielen Schulen in ganz Deutschland verteilt gibt: die Bläserklasse. „Als wir damit angefangen haben, war das noch ganz neu“, erzählt Falk. „Aber als es dann so gut funktioniert hat, haben sich viele an uns orientiert. Im Württembergischen sind sehr viele auf mich zugekommen, um sich Tipps zu holen.“ Einer dieser Tipps: „Die Organisation und die Vorbereitung sind das A und O!“ Falk selbst brauchte etwa eineinhalb Jahre, bis er das Projekt so ins Leben rufen konnte.

Denn neben den rein logistischen Gegebenheiten, wie einem Raum in der Schule, in dem eine Bläserklasse proben kann, oder der Frage, wer die Instrumente finanziert, gibt es auch pädagogische Dinge, die man als leitende Person einer Bläserklasse wissen muss – und das schon in der ersten Stunde. „Wenn 30 Kinder gleichzeitig zum ersten Mal ein Instrument auspacken“, erklärt Falk, „wird das ein unglaubliches Chaos. Es weiß ja keiner, wie genau er es zusammenbauen muss. Am Ende sind nur die Instrumente verbogen, und keiner weiß Bescheid.“ Daher hat Falk selbst auch einen Kurs zum Bläserklassenleiter gemacht, bevor er die erste Bläserklasse startete. „Man muss eben wissen, wie man mit großen Gruppen von Kindern umgeht“, erklärt er. „Bei uns beispielsweise dürfen die Kinder in den ersten beiden Wochen nur das Mundstück zum Üben mit nach Hause nehmen. So lernen sie erst einmal, Töne zu erzeugen. Das Spielen kommt dann Stück für Stück.“

Der Ablauf einer Bläserklasse ist im Grunde genommen recht einfach. Vor dem Beginn der dritten Klasse können sich die Kinder entscheiden, ob sie, statt am regulären Musikunterricht teilzunehmen, lieber Teil der Bläserklasse sein wollen. „Die Bläserklasse ist keine zusätzliche AG“, betont Falk. „Sie findet parallel zum Musikunterricht statt. Sie bekommen auch Noten und am Ende eine Urkunde.“ So hat die Musik von Anbeginn an einen großen Stellenwert im Schulalltag. Am Anfang des Schuljahres dürfen alle Drittklässler der Bläserklasse dann sämtliche Instrumente ausprobieren und ihre Top 3 auswählen. Währenddessen machen sich die Musiklehrkräfte Notizen, welches Instrument gut zu welchem Kind passen würde. Abschließend wird den Kindern jeweils ein Instrument zugeteilt. Nicht immer bekommen die Kinder jedoch, was sie sich wünschen. „Das liegt daran, dass wir ein Kontingent an Instrumenten haben und nicht mehr ausgeben können als wir haben“, erklärt Falk. „Die meisten Tränen gibt es überraschenderweise bei der Tuba. Das System hat sich aber bewährt, und am Ende sind die Kinder doch zufrieden mit ihrem Instrument.“ Bei diesem System ist nicht nur wichtig, dass die Kinder jedes Instrument ausprobieren, sondern auch, dass die Eltern bei einem Elternabend ebenfalls alles ausprobieren. Auf den ersten Blick wirkt das etwas ungewöhnlich, doch Falk erklärt: „Wir wollen den Eltern die Angst nehmen. Sie müssen immerhin wissen, worauf sie sich einlassen.“

„Unsere Fachlehrer sind alle studierte Musiker“

Nach der Auswahl der Instrumente werden die Kinder während des Unterrichts langsam an das neue Instrument herangeführt. Die Bläserklasse wird zweimal pro Woche in der Schule unterrichtet. Dabei sind zwei Lehrer anwesend, sodass sie alle gut im Blick haben können. Zusätzlich gibt es pro Woche 30 Minuten Unterricht bei einem Fachlehrer in einer Kleingruppe. „Unsere Fachlehrer sind alle studierte Musiker“, erzählt Falk stolz. „Der Unterricht ergänzt sich auch sehr gut miteinander.“ Ein wichtiger Teil des Konzepts ist auch die Langsamkeit. Nicht alle Kinder haben vorher bereits Erfahrung mit Musik sammeln können. Das erste Ziel ist, dass sie ihr Instrument kennenlernen und am Ende des dritten Schuljahres bereits ein kleines Konzert mit etwa 40 Minuten Länge geben können. In der vierten Klasse werden dann sehr viele Grundlagen gesetzt und Literatur geprobt, sodass zu Weihnachten schon ein Weihnachtskonzert gespielt werden kann. Das zweite Halbjahr der vierten Klasse ist dann rein auf die Literatur konzentriert. Sie treten bei einem großen Abschlusskonzert auf, dürfen bei der Nachtmusik in Bönnigheim, einem Musikfest der Stadt, auftreten und sogar bei einem Wertungsspiel mitmachen. „Wenn wir mehr als 90 Punkte erhalten, gehen wir gemeinsam nach Tripsdrill“, verrät Falk schmunzelnd. „Das ist eine sehr gute, zusätzliche Motivation.“

Seit bald 25 Jahren gibt es die Bläserklassen in Bönnigheim unter der Leitung von Rainer Falk. In der vierten Klasse dürfen die Kinder bei einem Wertungsspiel antreten, wie im letzten Jahr in Ettlingen, wo sie 94 Punkte erspielten.

Nach dem Abschluss der vierten Klasse können die Kinder beispielsweise am Gymnasium weiter Musik machen – zum Beispiel in der Big Band, die mit dem Gymnasium zusammenarbeitet, oder auch in den Jugendorchestern des Musikvereins Bönnigheim. „Früher hatten wir ein kleines Jugendorchester mit 25 Mitgliedern zwischen 10 und 18 Jahren, im Musikverein selbst waren es 28 Mitglieder“, erinnert sich Falk, und berichtet stolz: „Jetzt sind es 40 Kinder in der 5. und 6. Klasse, noch einmal etwa 40 ab Klasse 7 und etwa 55 Mitglieder in der Stadtkapelle.“ Das Beste daran: Der Altersdurchschnitt der Stadtkapelle liegt bei nur 23 Jahren. Bis heute haben über 1.000 Kinder in den Bläserklassen ein Instrument gelernt. Das ist nicht nur für den Verein sehr schön, sondern auch für die Kinder selbst: Sie entwickeln ein Selbstwertgefühl über das Musik machen, lernen, sich in Gruppen zu integrieren und stärken ihre Konzentration. Immer wieder finden auch benotete Vorspiele in der Klasse statt. Dabei wird aber niemand gezwungen: „Wenn sich ein Kind gar nicht traut, darf es auch nach dem Unterricht nur für mich vorspielen, wenn die anderen weg sind“, erklärt Falk.

Die Stadt Bönnigheim unterstützt das Projekt

„Das Erfolgsgeheimnis der Bläserklasse ist, dass die Kinder sich wohlfühlen und dann auch gern Musik machen wollen. Bei einem Vorspiel können auch die schwächeren Kinder Anerkennung ihrer Klassenkameraden bekommen.“ Ein Vorteil, der den Eltern auch zugutekommt, ist, dass die Stadt Bönnigheim das Projekt ebenfalls unterstützt: Bereits im Gründungsjahr der Bläserklasse nahm sie Geld in die Hand, um einen Satz Instrumente für die Kinder anzuschaffen. Im folgenden Jahr kam ein zweiter Satz hinterher. So kann wirklich jeder, unabhängig von den eigenen Finanzen, in der Bläserklasse mitspielen.

Natürlich gibt es hin und wieder Schwierigkeiten, beispielsweise, dass ein Kind keine Lust mehr hat und aussteigen möchte. Doch da bleibt Falk hart: „Es ist Teil der Schule. Man kann ja auch nicht mit dem Matheunterricht aufhören, nur weil es dem Kind keinen Spaß mehr macht. Da sind die Eltern genau wie in anderen Fächern in der Pflicht, ihr Kind zu unterstützen.“ Selbstverständlich gibt es auch wenige Ausnahmen. „Wenn das Instrument bis Ostern noch ein Fremdkörper ist, dann macht es wenig Sinn“, gibt er zu. „Dann ist es möglich, zum vierten Schuljahr hin auszusteigen.“ Mitten im Jahr geht dies aber nicht: „Es ist wichtig, dass die Kinder kontinuierlich dran bleiben und sehen, dass man so Erfolg haben kann“, erklärt er. „Die Kinder können lernen, durchzuhalten. Beim Lernen braucht es Wiederholung und Struktur – das kann man sehr gut beim Musik machen sehen und erlernen.“ Selten sind Kinder bisher ausgestiegen, die allermeisten bleiben bis zur vierten Klasse und darüber hinaus ihrem Instrument treu. Falk freut sich besonders darüber, aber auch, wenn das Instrument wieder in Vergessenheit geraten sollte, ist es für ihn in Ordnung. Denn: „Am Ende werden sie sich immer daran erinnern können, welches Instrument sie gespielt haben und wie viel Spaß es ihnen gemacht hat.“

Text: Monika Müller