
Der führende Komponist des englischen Barock – noch bevor aus Georg Friedrich Händel (geb. 1685) “Mr. Handel” wurde – und Ahnherr Benjamin Brittens, der sich intensiv mit Purcells Werk auseinandersetzte. Purcell ist der bedeutendste englische Komponist zwischen John Dowland und Edward Elgar, geehrt mit einem Begräbnis in Westminster Abbey, wo er über Jahre als Organist gewirkt hatte. Sein Schaffen, im Kriegs- und Religionswirrwar der englischen Restauration entstanden, umfaßt Instrumentalmusik und vokale Kirchenmusik, zahlreiche sog. Anthems (sakrale, bzw. festliche Vokalmusik), höfische Fest- und Prunkmusik sowie Bühnenmusik zu typisch englischen “masques”, die Tanz, Gesang und Theater verbinden. Purcells vielschichtige Musik lebt von der Musik der englischen Chortradition der Royal Chapels, von italienischen (Cavalli) und französischen (Charpentier, Lully) Einflüssen, die er – in guter englischer Tradition – nicht nur in seinen “Songs & Dances” mit der Volksmusik (folk music und country dances) seines Landes vermischt: Nicht nur Hof und Kirche, auch der englische Pub, in dem der Komponist gerne zu Gast war, hinterlässt Spuren in seiner Musik. Nie zuvor hat jemand die englische Sprache und Dichtung, die bis dahin als “unmusikalisch” galt, so feinsinnig in Musik gesetzt wie der “Shakespeare der Musik”. Höfischer Glanz und menschliches Leid liegen in seinen Werken eng beieinander – seine harmonisch kühne, ausdrucksintensive und klangsinnliche Musik feiert das Leben, die Liebe und die Musik selbst im Angesicht des – ihn selbst im Alter von 36 Jahren ereilenden – Todes und wirkt über New Wave, Pop-Musik und Jazz bis in die Filmmusik hinein.
Werke, die man hören sollte:
- Funeral Music for Queen Mary (1695): Bewegende Begräbnismusik für Königin Anne II. mit einem berühmten Blechbläser-Trauermarsch, dem “flat trumpets and sackbuts” ein besonderes Timbre verleihen – und den Stanley Kubrick zur elektronischen Titelmusik für seinen Film “Clockwork Orange” (1971) macht. Pete Townshend von der Popband “The Who” verwendet Purcell Musik u. a. für den Song “Pinball Wizard”.
- Songs aus seinen Semi-Opern The Fairy Queen (1692) und King Arthur (1691): Den frostigen “Cold Song” (ein Schneefeld in der Westantarktis trägt Purcells Namen!) ließ einst 80er New Wave-Star Klaus Nomi von Synthesizer-Klängen begleiten – der Song “One charming night” ist pure Verführung in Musik gegossen. Die Sterbe-Arie der Dido “When I am laid in earth” aus seiner einzigen Oper “Dido und Aeneas” gehört zu den bewegendsten Kompositionen aller Zeiten.
- Tänze aus der Abdelazer Suite Z570 (1695): Das festliche “Rondeau” ist Zentralthema in Benjamin Brittens “The young people’s guide to the orchestra” (1945), erklingt aber auch im Hollywood-Film “Pride and Prejudice” nach Jane Austen (Regie: Joe Wright, 2005) – die “Hornpipe” daraus untermalt eine zentrale Szene des Jane Austen-Films “Becoming Jane” (2007, Regie: Julian Jarrold).
- By the way: Das berühmte “Trumpet Voluntary” ist nicht von Purcell, sondern von Jeremiah Clarke – aber wer Purcells glanzvolle Bläser in seinem Te Deum and Jubilate Z 232 (1694) oder in den Anthems, diesen Eckpfeilern der geistlichen Chormusik, hört, dürfte dies leicht verschmerzen.
Text: Dr. Edda Güntert