![foto-portrait-glenn-miller-001-bdb-musikakademie-staufen](https://www.bdb-online.de/wp-content/uploads/./foto-portrait-glenn-miller-001-bdb-musikakademie-staufen.jpg)
Sternenstaub
“Was ist los, Miller, wollen Sie ewig leben?” soll der ihn begleitende Offizier noch gerufen haben, als Captain Alton Glenn Miller beim Einstieg ins Flugzeug, das ihn mitten in eisiger, nebliger Nacht am 15. Dezember 1944 von England aus zu Konzerten ins befreite Paris bringen sollte, besorgt nach den fehlenden Fallschirmen fragte. Das Flugzeug verschwand spurlos. Die unter unzähligen Erklärungsversuchen und teils abenteuerlichen Gerüchten lange als gültig vertretene, auf Erinnerungen eines Piloten basierende Theorie, eine von einem abgebrochenen Luftangriff auf Siegen zurückkehrende Fliegerstaffel habe beim für eine sichere Landung notwendigen Bombenabwurf das über dem Ärmelkanal unter ihnen fliegende kleinere Flugzeug Millers getroffen, ist nicht zweifelsfrei belegbar. Die letztgültige Erklärung: Tragflächenvereisung. In dieser Nacht im Kriegswinter 1944 zerstob ein Musikerleben auf der Höhe des Erfolges in Sekunden im Nichts. Die Musik des legendären Bandleaders jedoch wurde zum überdauernden Fixstern amerikanischer und europäischer Unterhaltungsmusik der folgenden Jahrzehnte. Ob Erwin Lehn, Bert Kaempfert, James Last, Max Greger, Paul Kuhn und Horst Jankowski, der Schweizer Pepe Lienhard oder der Niederländer Wil Salden, dessen “Glenn Miller Orchestra “ das europäische Pendant zum amerikanischen Orchester gleichen Namens bildet: Jede Big Band von Format, jede Formation anspruchsvoller Unterhaltungs- und Tanzmusik zählt Glenn Miller bis heute zum Kern-Repertoire – und so mancher dürfte wohl im Musikverein seine erste Begegnung mit der “Glenn Miller Story” (Titel auch des gleichnamigen Films von 1954 mit James Stewart in der Hauptrolle) gehabt haben.
Der entwaffnende Klang der Freiheit
Die enge Verbindung zum Militär – mit dem Beitritt Glenn Millers zur Air Force 1942 wurde sein Orchester zur American Army Air Forces Band – setzt sich bis heute in den Orchestern der Militärmusik im In- und Ausland fort. Udo Lindenberg, bekennender Fan von “Benny Goodman, Glenn Miller & Co.” (Verse aus seinem Song “Mein Onkel Joe”), ließ im Jahr 1983 den Chattanooga Choo Choo als “Sonderzug nach Pankow” über die noch bestehende deutsch-deutsch Grenze rauschen – einer der vielen feinen “Haarrisse” in einer Mauer, die als letztes monumentales Relikt des Krieges und des Eisernen Vorhangs sechs Jahre später fallen sollte.
Mit seinem “Sonderzug” knüpfte Udo an etwas an, was Glenn Millers Musik in den Kriegsjahren fest zugewachsen war und worin noch heute die Sympathien wurzeln, die sie gerade in Deutschland genießt: Dieser Sound ist mit Aufbruch und Freiheit verbunden. “There is no expression of freedom quite so sincere than there is in music”, hatte Glenn Miller selbst so schön in einer seiner “Wehrmacht Hours” gesagt, einer Radiosendung, die er gemeinsam mit einem als “Ilse Weinberger” vorgestellten “deutschen Frollein” moderierte. Die befreiende, mitreißende Kraft vor allem seiner Musik wurde in den legendären Radiosendungen der Alliierten bewusst eingesetzt, um deutschen Soldaten und Zivilisten die freiheitlichen Ideale des American Way of Life nahezubringen – und einer möglichen Kapitulation den Weg zu bereiten. “Wehrkraftzersetzung” der besonderen, musikalischen Art, die ihre Wirkung, wie etwa Paul Kuhn in Interviews erzählte, nicht verfehlte: Zwischen all den faszinierenden Swing- und Jazz-Nummern war auf diesem Weg auch die Wahrheit über den tatsächlichen Verlauf der russischen Front zu erfahren. Nicht nur die deutsche, auch die bereits vor dem Krieg überaus lebendige französische Jazz-Szene erlebte durch die Musik Glenn Millers eine Renaissance. So hatte etwa der bedeutende französische Gitarrist und Komponist Django Reinhardt als zentrale Gestalt des europäischen Jazz und musikalischer Partner z. B. von Duke Ellington bereits 1945 in Paris mit den “Glenn Miller All Stars” (ehemaligen Mitgliedern des Orchesters) Aufnahmen gemacht – und Millers Sound mit dem typischen “Manouche” Gipsy Swing verschmolzen.
Ein Sound für die Ewigkeit
Als er 1944 starb, war Bandleader Glenn Miller, der mit seinem Orchester auch in mehreren erfolgreichen Musicalfilmen aufgetreten war, auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Mit den sich kraftvoll in kreisend anschiebenden, langsam in die Höhe schraubenden Bewegungen seines Hits “Chattanooga Choo Choo”, für den Miller 1942 die erste Goldene Schallplatte der Musikgeschichte erhielt, kam auch eine beispiellose, unaufhaltbar scheinende Karriere als Chef des erfolgreichsten Orchesters seiner Zeit in Fahrt. Miller war ein Spitzenverdiener im Musikgeschäft, dem von nicht wenigen Neidern Kommerzialisierung des Jazz als salonfähiger “white Jazz” vorgeworfen wurde. An seinem Aufstieg hatte er jedoch mit einer Beharrlichkeit und unternehmerischen Zielstrebigkeit gearbeitet, die ihn auch als Orchesterchef auszeichnete. Der Perfektionist, der sich als Kind seine erste Posaune mit Gelegenheitsjobs wie Kühemelken verdient hatte, hatte bereits in den 30er Jahren nach herben Rückschlägen mit früheren Bands an seiner Vorstellung eines unverwechselbaren Sounds getüftelt. Ob es der einzigartige Klang der Klarinette Benny Goodmans war, mit dem er als Posaunist in verschiedenen Formationen musiziert hatte oder – wie die Legende erzählt – der krankheitsbedingte Ausfall eines Trompeters, dessen Part Miller schnell mit der Klarinette besetzte : Mit der über dem Saxophon-Satz samtig schwebenden Klarinette verwirklichte Miller seinen Wunsch nach einer sofort erkennbaren “Persönlichkeit”, einem unverwechselbaren Sound, der mit seinem intensiv vibrierenden Schmelz und seiner sinnlichen Leuchtkraft bis heute für Gänsehaut sorgt und sich als Glenn Miller-Satz in die Musikgeschichte einschrieb. Von der schwärmerisch elegischen “Moonlight Serenade” (der einzigen Eigenkomposition Millers und Erkennungsmelodie des Orchesters), in der die Klarinette als Stimme der Romantik besonders gut zum Tragen kommt, war der Weg nicht weit zu einer Interpretation von Beethovens zweitem Satz aus der sogenannten “Mondschein-Sonate” (1942). Wie gut dieser Sound der vielseitigen Musik eines Robert Stolz zu Gesicht steht, wusste bereits in den 70er Jahren Egerländer-”Bandleader” und Jazz-Posaunist Ernst Mosch, in dessen Miller-Arrangements selbst Wiener Melodien wie Hits aus dem American Songbook und im besten Sinne volkstümlich zugleich wirken. Im Verein mit zündenden, tanzbaren Swing-Rhythmen und harmonisch raffinierten, klangfarbenreichen Arrangements unsterblicher Klassiker aus Jazz und Swing antwortete diese Musik auf die Sehnsüchte und Hoffnungen ihrer Zeit – und fasziniert bis heute. Zu den vielen Legenden, die sich um sein Ende ranken, gehört auch die Geschichte von dem mysteriösen Schild, das angeblich 45 Jahre nach dem rätselhaften Nachtflug an einem Baum hängend im Süden Englands gefunden wurde: Miller sei 1944 untergetaucht und habe bis 1989 gelebt. “I never deserved my fame” seien seine letzten Worte gewesen. Ob nun Legende oder nicht: Diesen “letzten” Worten wird jeder mit vehement widersprechen, der je seiner “Moonlight Serenade”, “Tuxedo Junction”, “In the mood” oder seinem hinreißenden Arrangement von Duke Ellingtons “In the sentimental mood” gelauscht hat. Allen Geheimnissen und Rätseln zum Trotz – eines ist sicher: Glenn Miller lebt – in seiner Musik.
Text: Dr. Edda Güntert