Grenzenlos gut

Wer ihn in alten Proben-Videos beobachtet, wie er sein Orchester anfeuert, einzelne Partien vorsingt und mit unverwechselbarer Gestik und Mimik Höchstleistung einfordert, wie er wiederholt bei einem nicht präzise genug erfolgenden EInsatz forsch mit “Meine Herrn, net schlofen!” unterbricht – dem teilt sich vor allem eines mit: Musizieren mit Ernst Mosch war Arbeit. Die stete Wachheit, die es kostet, rhythmische Details mit einer solch präzisen Feinnervigkeit zu gestalten, wie Mosch es einforderte, die Phrasierungskunst, in der der vielgerühmte Melodienschmelz und der authentisch warme Klang der “Original Egerländer” gründet: All das unterscheidet sich im Kern wenig von dem, was in einem klassischen Orchester, einem Ensemble der Alten Musik oder auch in einem professionellen Chor gefordert wird. Eigentlich kein Wunder, dass die “Original Egerländer” gerade von einer internationalen Größe wie dem Dirigenten Roger Norrington, der als Originalklang-Pionier mit seinen Schütz- und Bach-Aufnahmen und seinen “unromantischen” Romantik-Interpretationen die Klassik-Welt aufgemischt hatte, großes Lob erhielten. “Fantastisch musiziert!” war seine bemerkenswert differenzierte Reaktion auf das Band mit Egerländer Musik, das ihm einst Moschs Nachfolger Ernst Hutter – damals noch Mitglied der Egerländer, klassisch ausgebildeter Posaunist, Jazzer und Mitglied der SWR-Big Band – bei einer Konzertreise vorgespielt hatte.

Musik ohne Grenzen

Im Grunde begegneten sich hier beider Erfolgsgeheimnisse, das des Alte Musik-Experten und des Chefs der Egerländer, dessen Orchester bis heute mit Superlativen bedacht wird: Das Bewusstsein dafür, dass in der Musik Grenzen zwischen “E” und “U” nie wirklich so scharf gezogen wurden, wie es oft den Anschein hat und dass Musik sich stets von den unterschiedlichsten Einflüssen, Genres und Stilen nährte. Dass sich barocke und frühbarocke Musik, in der der Tanz eine so zentrale Rolle spielt, besser musizieren lassen, wenn man “swingt” und ein Gefühl für den “Beat” hat, ist auch in der Klassik heute kein Geheimnis mehr. So wie in Alte Musik-Ensembles (z. B. “L’arpeggiata” von Christina Pluhar) heute Jazz-Musiker mitspielen und es zunehmend Crossover-Experimente gibt (z. B. das Purcell-Beatles-Projekt von Wolfgang Katschners “Lautten Compagney”), so hat auch Ernst Mosch, in den 50er und 60er Jahren einer der besten deutschen Jazz-Posaunisten im Südfunk-Tanzorchester Erwin Lehns (SWR Big Band), die traditionsgesättigte Musik des Egerlandes mit Jazz- und Swing-Elementen verschmolzen, um das musikalische Erbe seiner Heimat für Gegenwart und Zukunft zu erhalten. Noch heute sind es – mit Ernst Hutter und seinem Nachfolger Alexander Wurz – die musikalisch breit aufgestellten Grenzgänger zwischen den Musikwelten, die in ihrer Offenheit, Experimentierfreudigkeit und ihrem Streben nach Qualität diese Musik lebendig halten und an die nächsten Generationen weitergeben: Ein wahres Geschenk zum 100. Geburtstag Ernst Moschs 2025.

Musik als Heimat

Die grenzüberspielende Kraft seiner Musik war bei Mosch wohl auch immer ein Gegenentwurf zur schmerzlichen Erfahrung des Krieges und seiner Grenzziehungen zu sehen. Vertreibung, Flucht und Verlust bilden den Hintergrund für das sehnsuchtsvolle Beschwören des Egerlandes. Um die Heimat kreisen die meisten der großen Hits der Original Egerländer in einer Melodienseligkeit und tiefen Emotionalität, die ihnen die Begeisterung und Zuneigung von Millionen von Hörerinnen und Hörern auf der ganzen Welt sicherte – und zunehmend auch wieder jüngere Menschen anzieht. Mehrfach ließen die Egerländer als Chartstürmer die Beatles, ABBA, Queen, Phil Collins und AC/DC hinter sich: Ein Welterfolg, der einen Höhepunkt 1966 im umjubelten Auftritt im Klassiktempel Carnegie Hall fand, wo die Original Egerländer als erstes Blasmusikorchester überhaupt auftraten. Noch vor der Wende arbeitete Mosch 1988 mit dem Philharmonischen Blasorchester Prag, 1990 folgte er einer Einladung des Rundfunk-Blasorchesters Leipzig. Bereits 1981 hatte ihn die stete Suche nach den Wurzeln guter böhmischer Musik mit tschechischen Komponisten in Prag zusammentreffen lassen: Auch hier wirkte er mit seiner Musik, für die er mit so herausragenden Arrangeuren wie Franz Bummerl, Gerald Weinkopf und Frank Pleyer arbeitete, über (noch) bestehende Grenzen hinweg. Die enge Bindung an die reiche Musiktradition der Heimat war der Nährboden für Ernst Moschs Erfolg: Verschiedene Volksgruppen hatten im Egerland, das seit Jahrhunderten für seine Blasmusik und auch für seinen qualitätvollen Instrumentenbau bekannt war, musikalisch ihre Spuren hinterlassen. Lieder, Polkas, Walzer und Märsche – alle auch in der Klassik (etwa bei Schubert, Chopin, Strauss, Dvorák und Smetana) prominent vertreten – vermitteln in Moschs Werk immer auch etwas von der reichen musikalischen (Volks-)Musiktradition habsburgischer Geschichte. Geboren 1925 in Zwodau (heute Svatava in Tschechien), war der junge Ernst Mosch als Musikinternatszögling auch mit der uralten Tradition des Turm- und Choralblasens aufgewachsen, dieser Wurzel so vieler städtischer Musikvereine, mit der auch Johann Sebastian Bach groß geworden war. Obwohl sich seine musikalische Begabung und Vielseitigkeit – er spielte Flöte, Geige und Flügelhorn, letzteres in einer bekannten Jugendblaskapelle – früh zeigte, arbeitete Mosch zunächst als Maler und Mechaniker, bevor der Krieg ausbrach.

Swing als Brücke zwischen Stilen, Nationen und Generationen

Bei Kriegsende entschied sich Mosch, der sich zuvor autodidakt Posaune beigebracht und als Soldat im Musikkorps gespielt hatte, endgültig für die Musik. Wie James Last und viele andere große Musiker und Bandleader der Nachkriegsjahre (Hugo Strasser, Max Greger, Paul Kuhn), die die Kultur der deutschen Unterhaltungsmusik in den kommenden Jahrzehnten prägen sollten, spielte auch Ernst Mosch in amerikanischen Clubs. War Moschs guter Freund James Last einer der besten Bassisten Deutschlands, so wurde Mosch zu einem der gefragtesten Jazz-Posaunisten und Stellvertreter Erwin Lehns im Südfunk-Tanzorchester, aus dem später die SWR Big Band hervorgehen sollte. Mit dem legendären Auftritt einer Egerländer-Besetzung anlässlich des Bundespresseballs 1955 begann eine beispiellose Karriere: 1956 gründet Mosch seine Egerländer, ab 1958 “Original Egerländer Musikanten” – und damit das erfolgreichste Blasorchester der Welt. Der zwar oft kopierte, letztlich aber doch unnachahmliche Sound brachte eine einzigartige Verschmelzung von Swing und blasmusikalischer Klangkultur zu Gehör, die dem Orchester eine unangefochtene Sonderstellung in der Unterhaltungsmusik sicherte. Welche Versatilität seiner Musik innewohnte, zeigte Mosch besonders eindrucksvoll Mitte der 70er Jahre: Die Idee, bekannte Wiener Melodien von Robert Stolz – selbst ein Grenzgänger zwischen den Stilen und “ein Liebling von allen Komponisten von mir” (Ernst Mosch) – in einem Mix von Egerländer und dem berühmten Glenn Miller Sound (Lead-Klarinette über dem Saxophon-Register) zu präsentieren, machte eindrucksvoll deutlich, welch untrügliches Gespür Mosch für die “Wahlverwandschaften” bestimmter Musikstile hatte, die er damit auch für verschiedene Hörergruppen zugänglich machte.
Den “König der Blasmusik”, den “Karajan” des Blasorchesters hat man Ernst Mosch genannt. Bei aller Kompromisslosigkeit, wenn es um musikalische Qualität und um ein handwerklich einwandfreies Musizieren ging: Immer wieder hat Mosch, der von platinbesetzten Schallplatten bis zum Bundesverdienstkreuz alle nur denkbaren Ehrungen erhielt, dass er sein Orchester “brauche” und dass es keine “schlechten Musiker, sondern nur schlechte Kapellmeister” gäbe. Was im Gedächtnis bleibt, sind seine unbedingte Hingabe und Leidenschaft für eine Musik, die in ihrer Authentizität mehr als ein Denkmal blasmusikalischer Klangkultur ist. Moschs stetem Bemühen, diese Musik in die Zukunft zu führen, antwortet heute eine neue Generation junger Musikerinnen und Musiker, die sich an dieser mit seinem Namen verbundenen Klang- und Spielkultur schulen, um die dadurch gewonnen Qualitäten auch in andere Musikwelten transferieren zu können. Mit ein wenig Egerländer “Groove” im Rücken lässt sich wohl auch ein Ländler von Anton Bruckner oder Franz Schubert, beide so tief in der volkstümlichen Musik ihrer Heimat verwurzelt, oder eben auch der tänzerische “Swing” in barocker und klassischer Musik einfach etwas besser spielen: “Das isses, meine Herrn.”

Text: Dr. Edda Güntert

Autograph

Mit freundlicher Genehmigung von
Wolfgang Jendsch
Bundesbeauftragter für Egerländer/böhmische Blasmusik im Bund der Eghalanda Gmoin (BdEG)
Egerländer Blasmusik- und Informationsarchiv, Radolfzell

Holger Müller, Schlagzeuger
1995-1998 Mitglied der Original Egerländer Musikanten unter Ernst Mosch

Karl Graf zu Castell-Rüdenhausen, Journalist
Journalistischer Wegbegleiter von Ernst Mosch, Fotograf

Videos und Hörbeispiele